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Das Dischma-Experiment: Wie steuern Wechselwirkungen mit der Atmosphäre die Ablagerung und Schmelze von Schnee?

 

Wo im Gebirge wieviel Schnee liegt, ist nicht nur ein wesentlicher Faktor für die Lawinenbildung. Es bestimmt auch, wie viele Wasserressourcen verfügbar sind. Nach wie vor ist es jedoch schwierig, die im Schnee gespeicherte Wassermenge genau abzuschätzen, da die Mechanismen, welche die Verteilung und Schmelze von Schnee bestimmen, noch wenig bekannt sind. Im Projekt „Dischma-Experiment“ gehen Wissenschaftler deshalb folgenden Fragen nach:

  • Welche atmosphärischen Prozesse steuern die Ablagerung von Schnee im alpinen Gelände im Winter?
  • Wie verändert sich die Energiebilanz einer ausapernden Schneedecke im Frühjahr, und warum überdauern einzelne Schneeflecken länger als andere?

Dazu analysieren sie im „Dischmatal“ (Gemeinde Davos, Bild 1), einem hochgelegenen alpinen Einzugsgebiet, Niederschlagsfelder, Schneeverteilung und Schmelzdynamik der alpinen Schneedecke mit Hilfe von Feldexperimenten und numerischen Modellen. Dabei untersuchen sie insbesondere die Wechselwirkung zwischen der bodennahen Atmosphäre und der Schneedecke.

 

Wie kommt es zur räumlichen Verteilung der winterlichen Schneedecke?

Untersuchungen haben ergeben, dass sich der Niederschlag einige hundert Meter über Grund sehr viel gleichmässiger verteilt als die Schneeablagerung am Boden. Um jene bodennahen Prozesse zu untersuchen, die diese Unterschiede hervorrufen, verfolgen die Wissenschaftler im Projekt Dischma-Experiment den Weg des Schneepartikels von seiner Entstehung bis hin zur Ablagerung im Gelände. Die einzelnen Forschungsfragen sind:

  1. Welchen Effekt hat das Gelände auf die Niederschlagsbildung (Wolkenmikrophysik und –dynamik) und die Niederschlagsverteilung in einem alpinen Einzugsgebiet?
  2. Welchen Beitrag leistet die bevorzugte Ablagerung von Niederschlag in Leehängen (präferentielle Ablagerung) zur Niederschlagsvariabilität?
  3. Welchen Beitrag leistet die Schneeverfrachtung zur Niederschlagsvariabilität?
  4. Wieviel Schnee liegt in steilen Felswänden und welchen Effekt hat das turbulente Windfeld auf die Schneeablagerung dort (Bild 2)?
 

Was passiert, wenn die Schneedecke teilweise ausapert, und warum „überleben“ manche Schneeflecken länger als andere?

Wenn die winterliche Schneedecke im Frühjahr ausapert und einzelne schneefreie Stellen zum Vorschein kommen, verändert sich die Energiebilanz stark. Über den aperen Flächen heizen sich bodennahe Luftschichten stärker auf als über dem Schnee. Der Wind transportiert diese wärmere Luft über die noch schneebedeckten Flächen und erwärmt dort die Schneedecke. Während über den schneefreien Flächen Hangaufwinde entstehen können, bilden sich zur selben Zeit über den grösseren Schneeflecken Hangabwinde. Dies führt zu einem komplexen Windsystem, das wiederum den Wärmeaustausch zwischen Schnee und Atmosphäre entscheidend beeinflussen kann. Ausserdem führen lokale Unterschiede in der Mikrometeorologie dazu, dass einzelne Schneeflecken deutlich länger überdauern als andere. Im "Dischma-Experiment" analysieren die Forschenden mit aufwendigen Messkampagnen diese Energiebilanz und Schmelzdynamik der ausapernden Schneedecke. Ausserdem untersuchen sie, wie sich die unterschiedlichen Prozesse auf die Überlebensdauer einzelner Schneeflecken auswirken und quantifizieren die Hydrologie des gesamten Einzugsgebietes. Daraus ergeben sich folgende Forschungsfragen:

  1. Wieviel Energie wird in Form von sensibler Wärme von schneefreien Flächen zum Schnee transportiert und wie verändert sich dies in Abhängigkeit der Schneebedeckung?
  2. Wie verändert sich der turbulente Wärmefluss über dem Schnee durch die atmosphärische Stabilität (Bsp. Atmosphärische Entkoppelung)?
  3. Welche komplexen Windsysteme entstehen durch das gleichzeitige Auftreten von Hangab- und Hangaufwinden und wie beeinflussen diese die Energiebilanz der Schneedecke?

Welchen Nutzen haben diese Untersuchungen?

Das Ziel dieses Forschungsprojektes ist es, grundlegende Prozesse soweit zu verstehen, um daraus Parametrisierungen zu erstellen und in hydrologische und meteorologische Modellen zu integrieren. Dadurch können unter anderem das Management der alpinen Wasserressourcen, z. B. im Bereich Wasserkraft, und die Vorhersage von Hochwasser verbessert werden. Ausserdem geben die Modelle Aufschluss darüber, wie sich die Wasserressourcen unter dem Klimawandel verändern werden.

 

Welche Hilfsmittel sind im Einsatz?

Numerische Modelle

Die Forschenden benutzen das Atmosphärenmodel WRF (Weather Research and Forecasting), um den Effekt der atmosphärischen Strömung und der Wolkenmikrophysik auf das Niederschlagsfeld zu analysieren. Die Partikeldynamik untersuchen sie mit Hilfe von Large-Eddy-Simulationen (LES). Hierbei wird die Wechselwirkung von kleinräumiger atmosphärischer Turbulenz und der Partikelbewegung in der Luft simuliert. Zur numerischen Analyse der Schmelzdynamik benutzen sie das Schneedecken- und Oberflächenprozessmodel ALPINE3D, das mit hochaufgelösten atmosphärischen Feldern (3-D Felder Temperatur, Feuchte, Wind) aus dem Atmosphärenmodell ARPS angetrieben wird.

Experimente im Feld

In Zusammenarbeit mit der Gruppe „Environmental Remote Sensing Laboratory“ (EPF Lausanne) messen die Wissenschaftler das Niederschlagsfeld über dem Dischmatal mit einem hochauflösenden Wetterradar (Bild 3). Um zu ermitteln, wie sich der Niederschlag tatsächlich auf dem Boden verteilt, messen sie die Schneeverteilung vor und nach grossen Niederschlagsereignissen zusätzlich mit terrestrischem und luftgestütztem Laserscanning.

Um die Grenzschichtströmung und den Wärmeaustausch über der ausapernden Schneedecke zu erfassen, werden auf unterschiedlichen Höhen Wind und Temperatur in hoher zeitlicher Auflösung von 20 Herz aufgenommen (Bild 4) und dadurch deren hoch-frequente Schwankungen erfasst. Diese Schwankungen geben Aufschluss über turbulente Strukturen innerhalb der Grenzschicht und den turbulenten Wärmeaustausch über einzelne Schneeflecken. Eine grosse Zahl von mobilen Wetterstationen misst das grossräumige Wind- und Temperaturfeld (www.sensorscope.ch).

Zusätzlich erfassen die Forschenden die Temperatur der Landoberfläche mit einer Infrarotkamera. Hochaufgelöste Temperaturfelder sollen einen Einblick in die Dynamik der Erwärmung/Abkühlung der teils schneefreien und schneebedeckten Flächen geben. Ausserdem können sie damit Kälteseen identifizieren, welche das Überleben von Schneeflecken begünstigen.