Ökonomische Bewertung des Schutzwaldes
Ausgangslage
Der Schutzfunktion des Waldes kommt in der Schweiz eine besondere Bedeutung zu. Bereits seit dem ersten Forstpolizeigesetz von 1876 wird der Schutzwald durch den Bund finanziell gefördert. In den Jahren 1995 bis 1999 betrug der Mitteleinsatz des Bundes für Schutzaktivitäten im Waldbereich (Schutz durch Wald, Technik und Planung) jährlich rund 120 Mio. Franken. In den Jahren 2000 bis 2004 waren es - ausgelöst durch Massnahmen nach dem Sturmereignis Lothar – sogar 150 Mio. Franken pro Jahr. Rund 62 % der Mittel (Periode 2000 bis 2004) flossen in den Schutz durch Wald (Schutzwaldpflege, Verhütung und Behebung von Waldschäden etc.), 35 % in den Schutz durch Technik (Lawinenverbau, Steinschlag- und Felssturzverbau, Rutschverbau etc.) und 3 % in den Schutz durch Planung (Schärer 2004).
Problemstellung
In der „Waldpolitik 2020“ als Leitlinie zukünftiger Forstpolitik in der Schweiz wird die Sicherstellung der Schutzwaldleistung als eine der fünf grössten Herausforderungen genannt. Die Erhaltung der Schutzwälder mit dem Ziel, vor Naturgefahren zu schützen, ist somit eine forstpolitische Kernaufgabe und soll weiterhin mit öffentlichen Mitteln finanziert werden. Im NFA-Programm 2008-2012 des Bundes sind allein für den Bereich Schutzwald (inkl. Forstschutz und Wald/Wild) rund 58 Mio. Franken pro Jahr vorgesehen (BAFU 2008a).
Gemäss Landesforstinventar (LFI) beträgt die Schutzwaldfläche rund 111.000 ha (9% der gesamten Waldfläche der Schweiz). Die Kantone hingegen scheiden rund 280.000 ha (rund 23%) als Wälder mit besonderer Schutzfunktion aus. Obwohl die Differenz grösstenteils mit der Beschränkung des LFI auf die Prozesse Steinschlag und Lawinen erklärt werden kann (Duc et al. 2004), werden im BAFU-Projekt SilvaProtect-CH derzeit die dringend erforderlichen Grundlagen für eine Harmonisierung der Kriterien zur Schutzwaldausscheidung erarbeitet. Eine einheitliche Definition ‚Schutzwald’ ist bereits entwickelt worden: „Ein Schutzwald ist ein Wald, der ein anerkanntes Schadenpotential gegen eine bestehende Naturgefahr schützen oder die damit verbundenen Risiken reduzieren kann.“ (BAFU 2008b).
In diesem Zusammenhang kommt der Strategie einer „Abgeltung gemeinwirtschaftlicher Leistungen“ einem Paradigmenwechsel gleich: weg von einer kostenbasierten, pauschalen Einschätzung aufgrund der Gefahrenperimeter hin zu einer nutzenbasierten, fallspezifischen Beurteilung aufgrund von Risikoparametern. Erkenntnisse des integralen Risikomanagements, also des systematischen Vorgehens in einem Kreislauf aus Vorbeugung, Bewältigung und Regeneration (Naturgefahren Schweiz) unter Einbezug von Risikoanalyse und –bewertung sowie der Massnahmenplanung (PLANAT 2004), haben dazu geführt, dass sehr unterschiedliche Arten von zu schützenden Gütern mit risikobasierten Ansätzen einheitlich erfasst werden können (vgl. u. a. Wilhelm 1997). Diese und andere Ansätze, wie z. B. im Projekt PLANAT, beschränken sich jedoch auf die Ermittlung von Schadenkosten. Was bis heute fehlt, sind plausible quantitative Schätzungen des Nutzens, der aus der Schutzfunktion des Waldes vor Naturgefahren resultiert.
Wichtige Voraussetzungen für die Abgeltung der gemeinwirtschaftlichen Leistung „Schutzwirkung“ sind aus ordnungspolitischer und allokativer Sicht, (i) dass diese Leistung eindeutig definiert ist: Was ist ein Schutzwald und welche Wirkung hat er? und (ii) dass die Leistung quantifizierbar ist: Welchen Nutzen hat die Schutzwirkung? Erst das Wissen um den Nutzen der Schutzwirkung ermöglicht es, Nutzen und Kosten des Schutzwaldes gegenüberzustellen und diese mit anderen Schutzmassnahmen zu vergleichen (Olschewski et al. 2008).
Zielsetzung und Vorgehen
Ziel des Projektes „Ökonomische Schutzwaldbewertung“ ist es, die Kosten und Nutzen ausgewählter Wälder in Bezug auf den Lawinenschutz zu quantifizieren und dadurch einen Beitrag zu einer (risikobasierten) Kosten-Nutzen-Analyse zu leisten.
Dazu sind drei Arbeitsschritte erforderlich:
- Im ersten Schritt wird die Studienregion und der zu untersuchende Schutzwald bestimmt. Wegleitend ist dabei die Überlegung, dass das Gefahren- und Schadenpotential von der Bevölkerung bereits wahrgenommen werden oder ihr gegenüber kommuniziert werden kann.
- Im zweiten Schritt wird eine ökonomische Analyse alternativer Schutzmassnahmen durchgeführt. Dazu werden die forstlichen, technischen und planerischen Massnahmen untersucht und ihre Kosten bestimmt. Ferner wird das Risiko berechnet, dass mit einem Lawinenereignis verbunden ist.
- Im dritten Schritt erfolgt die ökonomische Bewertung auf der Nutzenseite. Dabei wird ein sogenanntes Choice Experiment mit dem Ziel durchgeführt, die Zahlungsbereitschaft der Bevölkerung zu bestimmen.
Ergebnisse
Die Fallstudie wurde in der Gemeinde Andermatt durchgeführt. Die besondere Schutzfunktion des Waldes oberhalb der Gemeinde wurde bereits im Jahr 1397 erkannt und durch strikte Betretungsverbote und Nutzungseinschränkungen in einem Bannbrief sichergestellt. Seit 1874 führten Wiederaufforstungen zu einer Vergrösserung der Waldfläche von ursprünglich vier auf heute rund 24 Hektaren (Olschewski et al. 2011).
Die durch das Choice Experiment bestimmte Zahlungsbereitschaft für Lawinenschutz liegt bei durchschnittlich etwa 450 Franken pro Haushalt. Diese Einmalzahlung für Schutzmassnahmen entspricht in etwa dem durchschnittlichen finanziellen Risiko pro Haushalt im Falle eines extremen Lawinenniedergangs. Die Bevölkerung ist offenbar gewillt, einen rechten Teil der finanziellen Last zugunsten ihrer Sicherheit selber zu tragen. Es wird aber auch deutlich, dass sie nicht bereit ist, die vergleichsweise höheren Kosten von alternativen Massnahmen, wie z.B. Stahlbrücken und -netzen, vollständig zu übernehmen. Vielmehr beurteilen die Haushalte Konstruktionen aus Holz in Kombination mit Aufforstungsmassnahmen als adäquate Schutzmassnahmen (Olschewski et al. 2012). Aus wirtschaftlicher Sicht sind Erhalt und Pflege des Schutzwaldes die vorteilhafteste Lösung. Dies jedoch nur, wenn seine Schutzwirkung dauerhaft erhalten werden kann. Pflegemassnahmen sind also zentral. Einerseits muss die Schutzfunktion gewährleistet und andererseits die Anfälligkeit gegenüber Sturmereignissen verringert werden.
Umsetzung
Die Ergebnisse wurden anlässlich einer WSL-Jubiläumsveranstaltung im Januar 2011 in Andermatt vorgestellt. Ferner erfolgte eine Präsentation für die forstliche Praxis im Rahmen des ETH-Montagskolloquiums. Eine Synthese des Gesamtprojektes ist in der Schweizerischen Zeitschrift für Forstwesen erschienen (SZF-Schwerpunktnummer 11/2011).
Das Projekt war Teil des Verbundprojekts „Externalitäten des Waldes und der Forstwirtschaft in der Schweiz“. Es wurde im Rahmen der Europäischen COST Action E45 durchgeführt.
Quellen
BAFU (Hrsg.) (2008a): Handbuch NFA im Umweltbereich. Mitteilung des BAFU als Vollzugsbehörde an Gesuchsteller. Umwelt-Vollzug Nr. 0808. Bundesamt für Umwelt, Bern. 283 S.
BAFU (2008b): Harmonisierung der Kriterien zur Schutzwaldausscheidung – Aktualisierter Synthesebericht zum Projekt SilvaProtect-CH Phase II. Bundesamt für Umwelt. 17 S.
Duc, P., Brändli, U.-B. & Brassel, P. (2004): Der Schutzwald im zweiten Schweizerischen Landesforstinventar (LFI2). In: Eidg. Forschungsanstalt WSL (Hrsg.) 2004: Schutzwald und Naturgefahren. Forum für Wissen 2004: 7-13.
Olschewski, R., Bebi, P., Grêt-Regamey, A. & Kräuchi, N. (2008): Wald und Klimawandel – Ansätze für eine ökonomische Bewertung. Schweizerische Zeitschrift für Forstwesen. 159(10): 374-380.
Olschewski, R., Bebi, P., Teich, M., Wissen Hayek, U. & Grêt-Regamey, A. (2011): Lawinenschutz durch Wälder - Methodik und Resultate einer Zahlungsbereitschaftsanalyse. Schweizerische Zeitschrift für Forstwesen. 162(11), 389-395.
Olschewski, R., Bebi, P., Teich, M., Wissen Hayek, U. & Grêt-Regamey, A. (2012): Avalanche protection by forests - A choice experiment in the Swiss Alps. Journal of Forest Policy and Economics. 15, 108-113.
PLANAT (Hrsg.) (2004): Vision und Strategie - Sicherheit vor Naturgefahren. Reihe 1/2004. 40S.
Schärer, W. (2004): Der Schutzwald und seine Bedeutung in der Waldpolitik des Bundes. In: Eidg. Forschungsanstalt WSL (Hrsg.) 2004: Schutzwald und Naturgefahren. Forum für Wissen 2004: 87-90.
Wilhelm, C. (1997): Wirtschaftlichkeit im Lawinenschutz. Mitt. Eidg. Institut Schnee- und Lawinenforschung, Nr. 54.
Details zum Projekt
Projektdauer
2007 - 2010