BiodiverCity: Verbessern Tiere und Pflanzen die Lebensqualität in der Stadt?

Eine grosse Mehrheit der Schweizer Bevölkerung lebt heute in städtischen Räumen. Gesundheit und Lebensqualität der Bevölkerung werden mit Erholung in der Natur und Erfahrung von Natur in Verbindung gebracht. Wir untersuchen die Zusammenhänge zwischen urbaner Biodiversität, bebauter Umwelt und deren Wahrnehmung durch die Einwohner.

Biodiversität und Komplexität der Natur sind wichtige Voraussetzungen für ein langfristiges Funktionieren von Ökosystemen. Im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms NFP54 “Sustainable Development of the Built Environment” arbeiteten im Projekt BiodiverCity Ökologen, Sozialwissenschaftlerinnen, Praktiker und Interessenvertreterinnen mit einem trans- und interdisziplinären Ansatz zusammen. Städtische Biodiversität sowie die Einstellung der Einwohner dazu wurden erhoben, um die Bedürfnisse der Bewohner zu identifizieren und die Schlüsselfaktoren zu bezeichnen, die Lebensqualität und Vielfalt in der städtischen Umwelt positiv beeinflussen.

Das Projekt untersuchte die Zusammenhänge zwischen urbaner Biodiversität, bebauter Umwelt und deren Wahrnehmung durch die Einwohner. Die Resultate können dazu beitragen, Biodiversität in Wohnsiedlungen und deren Akzeptanz in der Bevölkerung zu verbessern.

Methoden

Die Studie war in 4 Module aufgeteilt:

  • Mit historischen und aktuellen Informationen wurde das Potenzial von Biodiversität in Wohnsiedlungen evaluiert.
  • Einschätzung des ökologischen Wertes von städtischen Lebensräumen in drei Schweizer Städten anhand systematisch Daten zur Biodiversität.
  • Befragungen in den Studiengebieten und repräsentativ in der ganzen Schweiz erfassten die Haltung der Bewohner gegenüber grünen Siedlungsräumen.
  • Synthese und praktische Umsetzung.
     

Als Indikatoren für Natur wurden wirbellose Tiere, Vögel und Fledermäuse an 96 Standorten in drei Städten erhoben, die grössere Schweizer Siedlungsgebiete repräsentieren: Lugano, Luzern und Zürich. Umweltvariablen wurden auf verschiedenen räumlichen Skalen erhoben, um die urbanen Einflussfaktoren zu identifizieren, die Artenzahlen und Struktur der Artengemeinschaften bestimmen. Dieselben städtischen Eigenschaften wurden verwendet für eine Umfrage auf nationaler Ebene und eine Befragung von Stadtbewohnerinnen der drei Städte.

Das sozialwissenschaftliche Modul von BiodiverCity untersuchte in drei Phasen die Präferenzen für verschiedene Landschaftsformen. Zuerst wurde anhand von Interviews mit der Repertory Grid-Methode nachgewiesen, dass Nutzbarkeit, Zugang und Attraktivität für städtische Bewohner wichtige Faktoren sind, will man die Bedeutung der Natur betrachten. In einer zweiten Phase wurden schweizweite repräsentative Fragebogenerhebungen durchgeführt, die eine Einschätzung erlaubten, welche Landschaftstypen von den Bewohnern bevorzugt werden und welche Elemente dabei wichtig sind. Abschliessend wurde eine Fallstudie in den drei Fokusstädten durchgeführt, um festzustellen, ob Präferenzen beeinflussbar sind.

Resultate

In den drei Städten wurde eine unerwartet gleichmässig hohe Artenvielfalt bei den Wirbellosen nachgewiesen: Im Schnitt wurden 282 Morphospezies und 4’800 Individuen pro Erhebungsort in einer Saison erfasst unter Verwendung von standardisierten Aufnahmemethoden (Trichter-, Fenster- und Becherfallen). Sicht- und akustische Erkennung erlaubte die Identifikation einer Gesamtzahl von 72 Vogelarten und moderne bioakustische Aufnahmemethoden führten zur Identifizierung von zehn Fledermausarten in den drei Städten. Naturschutzrelevant sind vier wirbellose Arten, die erstmals in der Schweiz nachgewiesen wurden, sowie drei fremde invasive Arten. 

Pflegeintensität und Alter der städtischen Grünflächen beeinflussten die Vielfalt der wirbellosen Tiere am meisten. Ältere Rasen beherbergen mehr Arten, insbesondere wenn sie seltener geschnitten werden. Eine hohe Anzahl und die Vielfalt von Bäumen und Büschen beeinflussten den Artenreichtum und die Artenzusammensetzung der Vögel positiv. Die Artenzusammensetzung von weniger mobilen Gruppen wurde im Allgemeinen durch Umwelteigenschaften auf lokalen bis mittleren räumlichen Skalen beeinflusst (Distanz bis 50m), während die Artenzusammensetzung der beweglicheren Gruppen durch Anteil und Anordnung der Grünflächen auf mittleren (250m) bis grossen Skalen (1km) bestimmt wird, sowie von der Landschaftsmatrix, welche die Städte umgibt. Die geringe Variabilität der Artengemeinschaften, die durch räumliche Faktoren strukturiert werden, scheint die Bedeutung des kleinräumigen Mosaiks von Lebensräumen zu reflektieren, das für städtische Landschaften typisch ist.

Es zeigte sich, dass Komplexität von Strukturen und Vegetation die dominierenden Kriterien für Landschaftspräferenz in der städtischen Umwelt sind, bis zu dem Punkt, an dem sie Nutzbarkeit und Zugang einzuschränken beginnen. Anhand der Fragebogenerhebung zeigte sich, dass das Vermitteln von Informationen über die ökologische Qualität der Landschaft die Präferenz für Landschaften erhöhten.

Diskussion

In Anbetracht der Forderungen nach Nutzbarkeit und Zugänglichkeit müssen Massnahmen zur Förderung der Biodiversität im Siedlungsraum zwingend die menschliche Komponente berücksichtigen. Es muss eine Überlappung zwischen ökologisch wünschenswerten Lebensraumvariablen und von den Bewohnerinnen bevorzugten Landschaftsvariablen gefunden werden. Diese Überlappung ist fallspezifisch und hängt von den Bedürfnissen der Nutzer eines bestimmten Raumes ab. Der Raum muss gleichzeitig die gewünschte Artenvielfalt und die notwendigen Lebensräume zur Verfügung stellen. Diese Forderungen sind jedoch überraschend gut miteinander vereinbar, da die Resultate zeigen, dass strukturelle und pflanzliche Komplexität die dominierenden Eigenschaften der von den Bewohnern bevorzugten städtischen Landschaftsformen sind. Die Bevorzugung von bestimmten Lebensräumen kann zudem noch erhöht werden, indem die Öffentlichkeit Informationen über den ökologischen Wert solcher Lebensräume angeboten wird – etwa durch den Gebrauch von Flaggschiffarten. Die Resultate zeigen, dass Nutzbarkeit von und Zugang zu Natur bedeutende Faktoren sind, die zur Lebensqualität beitragen.

Strukturelle Komplexität der Vegetation ist eine entscheidende Grundlage der urbanen Artenvielfalt – und eine Eigenschaft, die mit der Präferenz der Bewohnerinnen und Bewohner grundsätzlich vereinbar ist. Wir diskutieren Strategien zur Förderung der Biodiversität im Siedlungsraum auf der Planungsebene, bei der Bauherrschaft sowie bei den Grünraumverantwortlichen. Zur Umsetzung sollten die folgenden Instrumente auf ihre Wirksamkeit hin evaluiert werden: Umsetzung des ökologischen Ausgleichs im Siedlungsgebiet, Begrünung und Aufwertung von Dachflächen, vertikalen Strukturen und Restflächen. Grünflächenverordnung als kompetitive Ergänzung zur Parkplatzverordnung, Trittsteine und Korridore zur Vernetzung, Bewertungssystem der städtischen Naturwerte als Grundlage für ein dynamisches Erhaltung von Naturwerten, Planung der Versorgungssicherheit von Natur-Erfahrungsräumen, Förderung von Pflegemassnahmen zur Steigerung der Biodiversität und deren Akzeptanz durch Öffentlichkeitsarbeit.

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