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Die zahlreichen urbanen Räume in Europa weisen bei aller Verschiedenheit eine Gemeinsamkeit auf: Sie werden immer grösser. Dieser scheinbar unaufhaltsame Entwicklungsprozess geht meist zulasten der unbebauten Landschaft. Die Folgen: Neue Siedlungen verdrängen Felder und Wiesen; neue Autobahnen, Flughäfen oder Industrieanlagen zerschneiden Lebensräume für seltene Pflanzen- und Tierarten sowie abwechslungsreiche Landschaften, die der Mensch bisher zur Erholung nutzen konnte.
Inwieweit lassen sich diese Entwicklungen in positive Bahnen lenken? Das untersuchen Wissenschafter in dem im Jahr 2016 gestarteten Forschungsprojekt CONCUR, das aus der Förderlinie der Consolidator Grants vom Schweizer Nationalfonds finanziert wird. Die WSL-Landschaftsforscherin Anna Hersperger und ihr international zusammengesetztes Team wollen herausfinden, wie Raumplanung und Politik die urbanen Regionen Europas verändern. Denn obwohl überall lokal, regional und landesweit geplant wird, weiss man bisher wenig darüber, wie sich die Raumplanung tatsächlich auf die Ausdehnung der Siedlungsflächen und Verkehrsinfrastrukturen auswirkt. Die Resultate des Grossprojekts sollen Transparenz in den Dschungel der Steuerungsmöglichkeiten der urbanen Entwicklung in Europa bringen.
In den vergangenen zwei Jahren hat das Team der WSL in 21 Regionen zwischen Barcelona und Stockholm sowie zwischen Wien und Edinburgh die bestehenden Konzepte für die Raumplanung untersucht. Die Forschenden interviewten europaweit mehr als hundert in der Raumplanung tätige Fachpersonen aus Forschung und Praxis. Derzeit analysiert das Projektteam, wie die unterschiedlichen Regionen in der Raumplanung beim Planen vorgehen und wie gut die Verwaltungen in den einzelnen Regionen in der Lage sind, die Pläne umzusetzen. Aus dem Vergleich entwickeln die Forschenden ein generalisiertes Verständnis, welche Akteure und Prozesse in Verwaltung und Politik die Raumplanung prägen. In der zweiten Hälfte der fünfjährigen Projektlaufzeit werden die Forschenden die Raumplanung als wichtigen Faktor in ein Landnutzungsmodell integrieren, das alle bebauten, bewirtschafteten und naturnahen Nutzungen berücksichtigt. Bisher wurde die Planungstätigkeit kaum in die grossräumige Modellierung der Landnutzung einbezogen, die beispielsweise für die Weiterentwicklung von weltweiten Klimamodellen so wichtig ist. Dieses Modell testen die Forschenden dann ausführlich in Fallstudien, und zwar einerseits in der Region Zürich, die ähnliche politische und planerische Voraussetzungen aufweist wie die 21 untersuchten Regionen. Anderseits wird das Modell auch in den urbanen Regionen Bukarest und Austin (Texas) getestet, die einen post-kommunistischen beziehungsweise US-amerikanischen Kontext aufweisen. Die letzten beiden Fallstudien sollen Hinweise geben, inwieweit sich dieses durch die Raumplanung ergänzte Modell weltweit anwenden lässt.

Politik und Verwaltung versus Investoren
Die bisherigen Ergebnisse des Forschungsprojekts zeigen zum Beispiel unterschiedliche Vorgehensweisen bei der Raumplanung in urbanen Regionen: In der nord- und mitteleuropäischen Kultur erarbeiten in der Regel Politik und Verwaltung zusammen mit privaten Akteuren übergeordnete Leitlinien für eine grosse Region. In den angelsächsischen Ländern hingegen haben vor allem Investoren eine grosse Verhandlungsmacht, beispielsweise um neue Wohnbauprojekte umzusetzen. Wo städtebauliche Grossprojekte wie etwa eine neue Hafen-City oder ein neu erschlossenes Wohngebiet die Raumplanung vorspuren, stellen sich neue Fragen: Wie vertragen sich derartige Vorreiterprojekte mit der Umsetzung einer übergeordneten, möglichst nachhaltig wirkenden Raumplanung? Und: Sind Grossregionen mit mehreren kleineren Zentren wirklich verträglicher für die Landschaftsentwicklung als MegaZentren wie beispielsweise London, Madrid oder Paris?
Mit dem grundlegenden Wissen aus dem Forschungsprojekt, wie sich die Raumplanung in urbanen Regionen auswirkt, lassen sich grossräumige Landnutzungsmodelle verbessern. Diese werden so zu einer nützlichen Grundlage für Planungsentscheide. (Reinhard Lässig, Diagonal 1/18)