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Mehrere dumpfe Detonationen erschüttern am 3. Februar 2015 das Vallée de la Sionne oberhalb des Walliser Dorfes Arbaz. Auf 2700 Metern gerät die Schneedecke ins Rutschen. Innert Sekunden entsteht eine Lawine, deren Kern bald in einer Staubwolke aus aufgewirbeltem Schnee verschwindet. Forschende des SLF haben die Lawine im abgesperrten Testgelände künstlich ausgelöst.
Was passiert unter der Staubwolke?
Um zu berechnen, wie weit Lawinen fliessen und welche Kräfte in ihnen auftreten, wollen die Forschenden das Fliessverhalten von Lawinen möglichst genau verstehen. Während die Versuchslawine ins Tal donnert, sitzen Anselm Köhler und Martin Hiller vom SLF sowie Jim McElwaine von der Universität Durham im Beobachtungsbunker unterhalb des Lawinenhangs. Ihr Blick wandert hin und her zwischen dem panzerglasverstärkten Bullauge, das einen verzerrten Blick auf den Lawinenhang freigibt, und ihren Bildschirmen. Darauf betrachten sie die Daten, die Radarantennen an der Aussenwand des Bunkers messen. Das Radar ermöglicht, durch die Staubwolke hindurch zu sehen, wie sich der dichtere Fliessanteil der Lawine bewegt.
Dynamik von Lawinen besser verstehen
Köhler, der die Radarmessungen im Rahmen seiner Doktorarbeit auswertet, erklärt: «Wir können damit erstmals direkt nachweisen, was Lawinenforscher schon seit Längerem vermuten: Grosse Lawinen setzen sich aus zahlreichen einzelnen Schüben zusammen, die wir ‹Surges› nennen, und wir können deren Geschwindigkeit messen.» Einerseits handelt es sich dabei um sekundär ausgelöste Lawinen, durch die sich die Masse der ursprünglichen Lawine auf ihrer Bahn ins Tal vervielfachen kann. Anderseits gibt es kleinere Ansammlungen von dichterem Schnee, die teilweise schneller fliessen als die Hauptmasse der Lawine. Dabei können sie die aktuelle Lawinenfront sozusagen durchstossen, werden danach aber stark abgebremst. Die Forschenden führen die verschiedenen Fliessgeschwindigkeiten in der Lawine auf Unterschiede in der Reibung zurück. Die neuen Erkenntnisse werden dabei helfen, physikalische Lawinenmodelle so weiterzuentwickeln, dass sie das komplexe Fliessverhalten besser berücksichtigen. (Martin Heggli, Diagonal 1/17)