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«Muotathal (SZ), 27. Februar 2016: Lawine am Blüemberg reisst Skitourengeher in den Tod.» Jeden Winter lesen wir solche Meldungen in den Medien. Pro Jahr verlieren in der Schweiz im Durchschnitt 23 Menschen ihr Leben in einer Lawine. Fast immer sind die Opfer Schneesportler, die abseits der Pisten unterwegs waren. Regelmässig hört man im Anschluss an Lawinenunfälle, Schneesportler gingen ein übermässiges Risiko ein. Sind Schneetouren also besonders gefährlich? Bislang konnte man darüber nur Vermutungen anstellen, weil gesicherte Daten fehlten.
Risiko auf Schneetouren ähnlich wie im Strassenverkehr
Das Lawinenrisiko bezeichnet hier die Wahrscheinlichkeit, dass ein Tourengeher an einem Tourentag bzw. in einem Jahr durch Lawinen ums Leben kommt. Um das Risiko für Schneetouren abzuschätzen, setzt man die Anzahl der Todesopfer in Bezug zur gesamten Tourenaktivität im winterlichen Gebirge. Das SLF erfasst die Unfälle seit vielen Jahren im Detail. Die Anzahl der Personen zu bestimmen, die auf Touren unterwegs sind, ist hingegen sehr viel schwieriger. Erstmals liefern die «Sport Schweiz»-Studien des Bundesamts für Sport nun verlässliche statistische Daten dazu. Für diese Studien wurden rund 23 000 in der Schweiz lebende Personen zu ihrem Sportverhalten befragt. Die Umfrage zeigt unter anderem, wie oft die Schweizer Bevölkerung Schneetouren unternimmt.
Kurt Winkler, Lawinenwarner am SLF, setzte diese Zahlen in Bezug zur Zahl der Lawinenunfälle. So konnte er erstmals statistisch fundiert das Risiko für einen tödlichen Lawinenunfall auf einer Schneetour berechnen. «Das Risiko eines Tourengehers, innerhalb eines Jahres in einer Lawine zu sterben, ist etwa gleich gross wie sein Risiko, im gleichen Zeitraum im Strassenverkehr umzukommen», erklärt Winkler. Allerdings ist dieses Risiko nicht gleich verteilt: Schneeschuhgeher haben ein etwa sechsmal geringeres Risiko als Skitourengeher. Winkler vermutet, das liege in erster Linie daran, dass die meisten Schneeschuhgeher in relativ einfachem und deshalb wenig gefährlichem Gelände unterwegs seien. Falls Schneeschuhgeher jedoch von einer Lawine verschüttet werden, haben sie deutlich schlechtere Überlebenschancen. «Das zeigt, dass bei dieser Gruppe die Kameradenrettung ungenügend funktioniert. Sie sollte deshalb in Rettungskursen geübt werden», empfiehlt Winkler.
Bemerkenswert ist, dass Männer im Durchschnitt ein etwa dreieinhalbmal höheres Risiko haben als Frauen. Oder anders gesagt: Eine Frau, die eine ganze Woche unterwegs ist, nimmt das gleiche Risiko auf sich, wie ein Mann, der nur am Wochenende auf Tour ist. Die Altersgruppe zwischen 30 und 60 Jahren scheint eher höhere Risiken einzugehen als die Jüngeren und Älteren. «In der Prävention sollten wir daher versuchen, auf Skitouren gehende Männer im mittleren Alter vermehrt anzusprechen», so Winkler.
Schwacher Altschnee ist kritisch
Frank Techel, ebenfalls Lawinenwarner am SLF, setzte die Häufigkeit von Lawinenunfällen in verschiedenen Regionen in Bezug zur Anzahl der Einträge auf Onlineportalen, wo Alpinisten ihre Touren dokumentieren. Er konnte zeigen, dass das Lawinenrisiko nicht nur mit der Gefahrenstufe markant zunimmt, sondern auch in den inneralpinen Gebieten im Wallis und in Graubünden höher ist als im Rest der Schweizer Alpen, weil dort schwacher Altschnee häufiger auftritt. Im Gegensatz zur Region beeinflussen weder das Wetter noch der Wochentag das Risiko. (Martin Heggli, Diagonal 2/16)