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Noch zehn Sekunden, bis die Sprengladung zündet. Stephan Simioni geht in Deckung. Ein ohrenbetäubender Knall erfüllt das winterliche Tal bei Hinterrhein, unweit der A13, wo Autos mit wärmesuchenden Touristen Richtung Süden rollen.
Um Skipisten oder Strassen wie die A13 zu schützen, sprengen Sicherheitsverantwortliche oft vorsorglich Lawinen. Simioni untersucht in seiner Doktorarbeit, was sich bei einer solchen Sprengung im Schnee abspielt und wie wirksam die eingesetzten Sprengmethoden sind. Heute verfolgt er mit Videokameras, ob und wo nach der Sprengung ein Bruch in der Schneedecke entsteht. Mikrofone nehmen auf, wie sich die Druckwelle, die eine Sprengung hervorruft, über der Schneedecke ausbreitet, und Beschleunigungssensoren messen, wie stark sich die Schneedecke aufgrund des Drucks verformt. Da Simioni seine Sprengversuche in der Ebene auf einem Schiessplatz durchführt, besteht für niemanden Gefahr. Einen ersten Sprengkurs absolvierte er bereits im Bauingenieur-Studium. Einfach aus Spass. Damals wusste er noch nicht, dass dieses Handwerk bald zu seiner Passion werden würde.
Sprengstoff oder Gas – was eignet sich besser?
Inzwischen hat er an die 100 Sprengladungen gezündet – die grösste Versuchsreihe in dieser Art, die nicht einer der Hersteller von Sprengsystemen selbst durchführte, und die einzige, die verschiedene Methoden vergleicht. Und die Arbeit ist noch nicht abgeschlossen. Geplant sind weitere Versuche, nicht nur im Flachen, sondern auch in Lawinenhängen. Simioni möchte damit die Wirkung von Systemen mit Sprengstoff gegenüber solchen mit Gas noch besser vergleichen können – gerade für Praktiker eine wichtige Planungshilfe. Eine Gruppe von Experten verschiedener Kantone und Skigebiete begleitet deshalb die Doktorarbeit. Auch das Bundesamt für Umwelt legt Wert auf handfeste Ergebnisse: So hat Simioni den Auftrag, einen Standardtest zum Vergleich der Sprengmethoden zu präsentieren.
Bereits heute kann er erste Resultate vorweisen: Seine Versuche zeigen, dass die Belastung, die die Sprengung in einer gewissen Distanz von der Explosion in der Schneedecke erzeugt, kleiner ist als bisher angenommen. Um abzuschätzen, was dies für die Praxis heisst, arbeitet Simioni jetzt an einem Computermodell, das simulieren kann, wie einfache Geländeformen wie Mulden oder die Hangneigung die Wirksamkeit der Sprengungen beeinflussen. Auch mit dem Versuchsaufbau in Hinterrhein ist er zufrieden: «Die Experimente im Flachfeld zeigen ähnliche Resultate wie Messungen an operationellen Systemen zur künstlichen Lawinenauslösung. Von einem Standardtest, der einen aussagekräftigen Vergleich zulässt, sind wir nicht mehr weit weg.» Die Resultate seiner Arbeit sollen Sicherheitsverantwortlichen wichtige Grundlagen liefern, um abzuschätzen, wo und wie sie Lawinensprengungen am besten durchführen.» (Christine Huovinen, Diagonal 1/16)