Navigation mit Access Keys

Wenn der Tundraboden taut: Arktische Mikroorganismen heizen den Klimawandel an

Hauptinhalt

 

Nur wenige Wochen im Jahr haben die Pflanzen in der arktischen Tundra Zeit, um zu wachsen. Auch Boden-Mikroorganismen verbringen viele Monate in einer Art Kälteschlaf und sind nur kurz aktiv, wenn die oberste Schicht des Bodens auftaut. Dann bauen sie organisches Material ab – allerdings weniger, als die Pflanzen gleichzeitig bilden. So sind im Laufe der Jahrtausende dicke Torfböden entstanden. Weltweit speichern diese etwa doppelt so viel Kohlenstoff wie die ganze Atmosphäre. Aber der Klimawandel macht die Tundraböden von Kohlenstoffsenken zu Kohlenstoffquellen: Weil die Temperaturen steigen, ist der Boden weniger lang gefroren, und er taut im Sommer bis in tiefere Schichten auf. Das kommt vor allem den Mikroorganismen zugute. Sie bauen nun mehr organisches Material ab als die Pflanzen bilden. Das dabei freigesetzte Kohlendioxid verstärkt den Treibhauseffekt und damit den Klimawandel weiter. Und es könnte noch schlimmer kommen, erklärt Mikrobiologe Beat Frey: «Die Klimamodelle prognostizieren, dass die Arktis feuchter wird. In einem wassergesättigten Boden könnten andere Mikroorganismen aktiv sein als in einem trockenen, die stärkere Treibhausgase freisetzen.»

 

Lachgas und Methan statt Kohlendioxid

Freys Kollegin Aline Frossard, ebenfalls Mikrobiologin, nimmt daher Mikroorganismen sowohl im trockenen als auch im nassen Tundraboden genau unter die Lupe. Ihre Messungen auf Spitzbergen zeigen: Im nassen Boden sind, wie vermutet, andere Mikroorganismen aktiv als im trockenen Boden. Als Folge davon entweichen aus dem nassen Boden deutlich mehr Methan und Lachgas. Diese Gase verstärken den Treibhaus­effekt rund fünfundzwanzig- beziehungsweise dreihundertmal stärker als Kohlendioxid. Frossard: «Das sollten die weltweiten Klimamodelle berücksichtigen, damit die Prognosen zuverlässiger werden.»

Frossard und Frey erforschen Mikroorganismen in Tundra- und Permafrostböden zu allen Jahreszeiten – im Winter bei ewiger Nacht und eisiger Kälte, im Frühling während der Schneeschmelze und im Sommer bei Mitternachtssonne. Genetische Untersuchungen ihrer Bodenproben erlauben Einblicke in eine weitgehend unbekannte Schatztruhe an Arten. Denn so lebensfeindlich die Tundra wirken mag: Für viele Mikroorganismen ist sie der natürliche Lebensraum.
(Birgit Ottmer, Diagonal 2/19)