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Dank uraltem Erbmaterial in der Vergangenheit lesen und in die Zukunft blicken

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Es riecht nach Chlor. Der Raum ist grell beleuchtet, Fenster gibt es keine. Die Einrichtung ist spärlich – Zentrifugen, Schüttler sowie Pipetten, Pinzetten und Laborspateln liegen auf den sterilen Arbeitstischen. Wer im Reinluftlabor arbeitet, muss minu­tiös darauf achten, dass kein Staubkörnchen die Proben verunreinigt. Denn hier im Untergeschoss des Pflanzenschutzlabors an der WSL untersuchen Forscher das Erbmaterial von Pflanzen- und Tierresten, die mehrere Tausend Jahre alt sind. Dieses Erb­material ist nur noch in geringsten Mengen vorhanden, zudem zerstückelt und beschädigt. Fremdpartikel von aussen wie Blütenpollen könnten sämtliche Analysearbeit zunichtemachen.

Deshalb duschen die Forscher in einem Vorraum des Labors und schlüpfen in weisse Overalls, bevor sie ihren Arbeitsplatz betreten. Auch tragen sie Mundschutz, Handschuhe und Schutzbrille. Die Handschuhe und Arbeitstische reinigen sie immer wieder mit DNA-zerstörendem Chlorwasser – daher der unangenehme Geruch in den Laborräumen. Und damit keine Staubteilchen oder Blütenpollen von draussen hinein gelangen, ist der Luftdruck im Labor höher als im Freien.

Weisstannen im südlichen Tessin

Alte DNA erlaubt einen Blick durchs Schlüsselloch in die Vergangenheit von Ökosystemen. «Genanalysen längst ausgestorbener Populationen erweisen sich als hilfreich, um zu verstehen, wie Arten auf Umweltveränderungen reagieren», sagt Christoph Sperisen, Populationsgenetiker an der WSL. Der Forscher beugt sich über ein Schüttelgerät, in dem er uralte Holzproben zu Pulver zermalmt, um daraus das Erbmaterial zu isolieren.

Kürzlich gelang es Sperisen und Kollegen der Universitäten Lausanne und Bern, die Geschichte eines ehemaligen Weisstannenbestands im Tessin zu rekonstruieren. Dafür untersuchten die Forscher aus Sedimenten des Origliosees (TI) Weisstannennadeln, die zwischen 5800 und 7100 Jahre alt sind. In dieser Zeit begannen Siedler dort Ackerbau zu betreiben und rodeten dafür Wälder. Die Resultate zeigen: Mit dem Ackerbau schrumpfte der Weisstannenbestand und damit auch dessen genetische Vielfalt. Vor etwa 6200 Jahren erholten sich sowohl der Bestand als auch dessen Vielfalt im Erbgut wieder. DNA-Vergleiche zwischen unterschiedlich alten Weisstannennadeln zeigen, dass sich der Bestand aus Bäumen der nahen Umgebung wieder etablierte; aus anderen Regionen kamen wohl keine Bäume hinzu.


 

Fehlinterpretationen durch Verunreinigungen vermeiden

Im Raum nebenan pipettiert Sper­isens Kollege Bertalan Lendvay eine vorbereitete Erbmateriallösung in kleine Plastikgefässe. Mit einem speziellen Verfahren wird er die geringen Mengen an altem Erbgut binnen kürzester Zeit millionenfach vermehren. Da dieses Verfahren auch DNA aus Verunreinigungen vervielfältigt, müssen die Oberflächen der Proben vorher gründlich gereinigt werden.

Dies stellte die Forscher bei einem noch laufenden Projekt auf die Probe: Sperisen und Lendvay untersuchen 14 000 bis 11 400 Jahre alte Föhrenstrünke, die WSL-Mitarbeitende 2013 im Zürcher Binzquartier im Lehm konserviert fanden. An den Hölzern hafteten Pollen von heutigen Bäumen und Pflanzen. Die Forscher «verbrannten» deshalb die Oberfläche der Hölzer mit einem speziellen Laserverfahren. Das verbrannte Holz schabten sie mitsamt den Verunreinigungen ab. «Fanden wir im ungereinigten Holz noch über hundert Pflanzenarten in den DNA-Analysen, stammt nach dem Reinigungsverfahren nur noch jedes tausendste Molekül nicht von den Binzföhren», sagt Lendvay.

Nun möchten die Wissenschafter erforschen, wie sich die Föhren nach der letzten Eiszeit, als das Klima wärmer wurde, genetisch verändert haben. So untersuchen sie, ob die damaligen Föhren besondere genetische Varianten enthielten, um mit wärmeren Temperaturen umgehen zu können. «Die Resultate, ob und wie sich die Föhren in relativ kurzer Zeit an das sich verändernde Klima anpassten, werden uns wertvolle Hinweise dazu liefern, wie heutige Wälder auf den Klimawandel reagieren könnten», sagt Sperisen.

Sein Kollege Lendvay trägt die fertig vorbereitete Erbmateriallösung in ein benachbartes Gebäude, wo er das Erbgut über Nacht in einer Maschine vervielfältigen lässt. Womöglich wird dieses bald Auskunft darüber geben, wie sich die Eiszeitföhren an das wärmere Klima anpassten. (Stephanie Schnydrig, Diagonal 2/17)