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Wald bindet viel CO2, und Holz ist als nachwachsender Rohstoff klimafreundlich. Aber wie genau sollen in der Schweiz der Wald gepflegt und das Holz genutzt werden, um das Klima maximal zu schützen?
Bis zu acht Tonnen CO2 entzieht eine grosse Buche der Atmosphäre im Laufe ihres Lebens. Den Kohlenstoff speichert sie in Stamm, Wurzeln und Ästen. 925 Millionen Tonnen CO2 lagern im Schweizer Wald. Das haben Berechnungen ergeben, die Esther Thürig, Leiterin der Forschungsgruppe «Ressourcenanalyse» an der WSL, zusammen mit ihrem Team und Kollegen aus Beratungsbüros und Hochschulen veröffentlicht hat. Die Hälfte des CO2 steckt im Waldboden, die andere in den Bäumen. Dieser Speicher entspricht knapp zwanzigmal der jährlichen CO2-Emission der Schweiz. Die Forderung nach mehr Wald liegt auf der Hand: Mehr Wald bedeutet weniger CO2 in der Luft – so können Emissionen geschickt kompensiert werden.

In der Schweiz hat es allerdings – ausser in den Alpen – kaum Platz für zusätzliche Wälder. Die Frage ist viel mehr, ob und wie der bestehende Wald weiteren Kohlenstoff binden kann. Zurzeit ist das der Fall: Es wächst mehr Holz, als geerntet wird – vor allem in den Alpen, wo die Waldnutzung aufwändig und wirtschaftlich unattraktiv ist. Aber WSL-Biologin Thürig warnt: «Der Wald ist nicht immer eine Senke für Kohlenstoff, er kann auch zur Quelle werden!» Zum Beispiel, wenn Stürme wie Lothar übers Land fegen. Die entwurzelten oder umgeworfenen Bäume verrotten und setzen dabei CO2 frei. Ähnliches gilt, wenn Bäume wegen Trockenheit oder Borkenkäfer-Befall sterben oder bei einem Waldbrand verbrennen. Mit dem Klimawandel ist zu erwarten, dass solche Ereignisse häufiger werden.
Verbautes Holz speichert den Kohlenstoff
Betrachtet man nur die Waldwirtschaft und damit den Waldrand als Systemgrenze, reduziert zudem jeder Stamm, der aus dem Wald abtransportiert wird, den Kohlenstoffvorrat im Wald – egal, ob er regulär geerntet oder vom Sturm geworfen wurde, egal wofür das Holz danach gebraucht wird. Das heisst aber nicht, dass auch wirklich CO2 in die Luft gelangt. Wird das Holz verbaut oder zu Möbeln verarbeitet, bleibt der Kohlenstoff gebunden und das Holz ersetzt energieintensivere Materialien wie Beton. Es ist daher sinnvoller, die Effekte der Wald- und Holzwirtschaft kombiniert zu untersuchen.
Das haben Esther Thürig und ihre Kollegen gemacht: Sie überlegten sich insgesamt fünf Szenarien – also mögliche zukünftige Entwicklungen – und berechneten deren Einfluss auf die Kohlenstoffbilanz der Schweiz. Die Spanne der möglichen «Zukünfte» reicht von vermehrter Holznutzung fürs Bauen und Heizen über die Fortsetzung der aktuellen Trends bis hin zu deutlich weniger gefällten Bäumen als heute. «Es mag auf den ersten Blick überraschen», kommentiert Thürig, «aber möglichst viele alte, grosse Bäume wachsen zu lassen, ist langfristig nicht der beste Weg, um das Klima zu schützen.» Denn je weiter man in die Zukunft schaut, desto klarer erkennbar ist, dass das Szenario mit der intensivierten, aber immer noch nachhaltigen Holznutzung am meisten Kohlenstoff bindet. Etwas genauer ausformuliert: Um der Atmosphäre langfristig so viel CO2 wie möglich zu entziehen, sollte der Wald so bewirtschaftet werden, dass er mehr Holz als heute produziert. Dieses einheimische Holz soll verbaut werden. Wenn ein Holzgebäude seinen Lebensabend erreicht, soll das Holz verbrannt und die Wärme genutzt werden. Auf diese Art entfaltet das Holz eine mehrfache Klimaschutz-Wirkung: Einerseits Aufbau eines grösseren CO2-Speichers, andererseits Ersatz zuerst von energieintensiven Baumaterialien, dann von fossilen Brennstoffen. Langfristig liesse sich so die jährliche CO2-Emisson der Schweiz um immerhin rund fünf Prozent senken.
Allerdings: Das Szenario kann nicht auf Knopfdruck umgesetzt werden. Da sich die Wirtschaftlichkeit der Waldnutzung verschlechtert hat (siehe Seite 3), wird bisher nicht mehr Holz geerntet – somit kann es auch nicht verbaut werden. Verschärft wird das Problem dadurch, dass der Schweizer Wald je länger, je weniger Fichtenholz liefern wird, da Fichten schlecht an die zukünftigen klimatischen Bedingungen angepasst sind. Das stattdessen wachsende Laubholz hat etwas andere Materialeigenschaften und kann heute weder von Sägereien noch von Holzbauern gut und kostendeckend verarbeitet werden.
Kohlenstoffsenken fördern
Thürig aktualisiert zurzeit die Szenarien, insbesondere um der heutigen Ausganglage gerecht zu werden und neueste Forschungserkenntnisse in den Simulationsmodellen zu berücksichtigen. Besonders wichtig zu wissen ist, wie sich die Kohlenstoffbilanz verändert, wenn alles weiterläuft wie bisher und aktuelle Trends sich fortsetzen, also beispielsweise der Holzpreis weiter sinkt. Diese Basis dient dazu abzuschätzen, ob und wie gut Klimaschutz-Massnahmen wirken. Denn sowohl die Wald- wie auch die Holzwirtschaft versuchen heute schon, die Senkenleistung ihres jeweiligen Teilsystems zu fördern. So können Private oder Firmen zum Beispiel bei der Oberallmeindkorporation Schwyz CO2-Zertifikate zur freiwilligen Kompensation ihrer Emissionen kaufen. Die Korporation erhöht dafür den Holzvorrat in ihren Wäldern kontrolliert und dauerhaft.
Waldbesitzer und -bewirtschafter gründeten zudem vor einem Jahr den Verein «Wald-Klimaschutz Schweiz». Dieser strebt an, dass seine Mitglieder die Senkenleistung des Waldes auf dem CO2-Markt verkaufen können. Die zusätzlichen Einnahmen könnten dazu beitragen, die Bewirtschaftung noch gezielter auf den Klimaschutz auszurichten. Auch die Holzindustrie verfolgt ähnliche Ziele und hat ihrerseits den Verein «Senke Schweizer Holz» gegründet in der Hoffnung, ans Geld der CO2-Kompensationstöpfe zu gelangen, die Holznutzung zu fördern und mehr Kohlenstoff in verbautem Holz zu binden.
Die Szenarien und Modellierungen von Thürig und ihren Kolleginnen und Kollegen liefern dabei unverzichtbare Informationen, um effektive Kompensationszahlungen oder Subventionen zu entwickeln. Sie werden aber auch für eine korrekte Treibhausgas-Berichterstattung der Schweiz gegenüber der internationalen Gemeinschaft verwendet.
(Birgit Ottmer, Diagonal 1/20)