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Das schmelzende Eis der Arktis lässt auch die Schweiz nicht kalt. WSL-Direktor Konrad Steffen und Botschafter Stefan Flückiger im Gespräch über Klimaflüchtlinge, den Arktischen Rat und das Wettrennen um Rohstoffe.


«In der Politik findet derzeit eine grosse Sensibilisierung für die gesellschaftlichen Auswirkungen des Klimawandels statt.»
Obwohl die Schweiz weit entfernt ist von der Arktis, betreibt sie dort intensiv Forschung. Weshalb?
KS: Es gibt viele Parallelen zwischen den polaren Gebieten und den Alpen. Schnee, Gletscher und Permafrost
kommen an beiden Orten vor, einfach in unterschiedlichen Höhenlagen und Dimensionen. Mit der Erforschung
dieser Phänomene hat man zuerst in den Schweizer Alpen begonnen, und viele der heutigen Methoden und Messgeräte wurden in der Schweiz entwickelt. Dieses Wissen können wir in der Polarforschunganwenden, zum Beispiel um zu verstehen, was mit den Eismassen in der Arktis geschieht.
Warum ist das wichtig?
KS: Wenn durch die Klimaerwärmung die grossen Gletscher in Grönland schmelzen, steigt der Meeresspiegel. Das hat zwar keinen unmittelbaren Einfluss auf das Binnenland Schweiz, indirekt aber grosse Auswirkungen auf uns. Denn in den Küstenregionen, vor allem in Asien, werden viele Millionenstädte unter Wasser stehen und dadurch unbewohnbar werden. Dann wird es grosse Flüchtlingsströme geben, auch Richtung Europa, wo der Lebensstandard hoch ist.
Wie reagiert die Politik auf solche Prognosen?
SF: Bei den Politikern findet derzeit eine grosse Sensibilisierung für die gesellschaftlichen Auswirkungen des Klimawandels statt. Es ist klar, dass die globalen Entwicklungen auch die Schweiz betreffen werden. Wir können uns nicht erlauben, das zu ignorieren. Um darauf vorbereitet zu sein, müssen wir die Ursachen und Zusammenhänge kennen. Und dafür brauchen wir die Erkenntnisse der Forschung. Aufgabe der Politik ist es, so viel wie möglich von diesem Wissen zu nutzen, um die Risiken des Klimawandels zu minimieren.
Die Schweiz engagiert sich seit 2017 als Beobachter-Mitglied im Arktischen Rat, einem Gremium der arktischen Anrainerstaaten. Was sind die Beweggründe dafür?
SF: Die Arktis gewinnt immer mehr an politischer Bedeutung. Durch das Schmelzen des Meereises stehen plötzlich Schifffahrtsrouten offen, welche die Transportwege zwischen Asien und Europa um ein Drittel verkürzen. Riesige Öl- und Mineralienvorkommen und neue Fischfanggründe im Nordpolarmeer werden zugänglich. Nun muss geklärt werden, wem diese Ressourcen gehören und wer sie nutzen darf. Auch Länder, die weit weg vom Nordpol liegen, melden ihre Interessen an. So haben etwa China, Japan, Indien und Singapur schon seit 2013 den Beobachterstatus im Arktischen Rat, welcher über die Nutzung der Arktis berät. Dass auch die Schweiz diese Entwicklung nicht verschlafen darf, hat der Bundesrat erkannt und 2014 die Bewerbung für den Arktischen Rat lanciert.
Die Bewerbungskampagne haben Sie – Stefan Flückiger und Koni Steffen – gemeinsam geführt. Wie haben Sie die Zusammenarbeit erlebt?
SF: Sie ist aus meiner Sicht ein ideales Beispiel dafür, wie Forschung und Politik Hand in Hand gehen können. Wir haben bei dem Unterfangen wirklich die Unterstützung der Forschung gebraucht. Die vielen internationalen Kontakte, die Koni Steffen durch seine langjährige Arbeit geknüpft hat, waren sehr wertvoll. Massgebend für den Erfolg unserer Bewerbung war auch, dass die Schweizer Polarforschung international ein sehr hohes Ansehen geniesst. Diese Ausstrahlungskraft ist ausserordentlich wichtig für die Schweizer Politik.
KS: Für mich war es schön zu erleben, dass sich die Politik für die Resultate unserer Arbeit interessiert. Das zeigt, dass diese relevant sind für die Gesellschaft.
Welchen Nutzen bringt die Mitgliedschaft im Arktischen Rat?
KS: Als Forscher sind wir schon seit Jahren in verschiedenen Arbeitsgruppen des Arktischen Rats engagiert, dessen Aktivitäten stark wissenschaftlich ausgerichtet sind. Neu ist, dass wir dabei nun die Unterstützung der Politik haben. Das erhöht die Sichtbarkeit unserer wissenschaftlichen Arbeiten.
SF: Für die Schweiz bedeutet der Beobachterstatus eine grosse Anerkennung. Zeitgleich haben sich Griechenland, die Türkei und die EU um diesen beworben – und wurden abgelehnt. Die Schweiz wurde akzeptiert, weil sie keine Gebietsansprüche in der Arktis erhebt und zudem als zuverlässiger internationaler Partner gilt. Und weil wir die
Mitglieder des Arktischen Rates von der Qualität der schweizerischen Arktisforschung überzeugen konnten.
KS: Wichtig ist aus meiner Sicht auch, dass die Schweiz als neutrales Land eine Vermittlerrolle übernehmen kann, wenn es um den Interessenausgleich zwischen verschiedenen Ländern geht.
Aber ganz uneigennützig war die Bewerbung doch sicher nicht. Welche wirtschaftlichen Interessen verfolgt die Schweiz?
SF: Eine der Hauptaufgaben der schweizerischen Aussenpolitik ist es, den Wirtschaftsplatz Schweiz zu unterstützen. Der Beobachterstatus im Arktischen Rat ist auch dafür nützlich. Die Schweiz ist weltweit einer der wichtigsten Standorte für Rohstoffunternehmen. Wenn diese künftig in der Arktis aktiv werden wollen, werden wir sie dabei unterstützen. Natürlich sind wir uns der internationalen Diskussion um die Rohstoffpolitik bewusst. Gerade deshalb wird die Politik von Anfang an das Gespräch mit den Unternehmen suchen und in Sachen Nachhaltigkeit eine regulierende Rolle übernehmen. In welcher Form das geschieht, wird sich jedoch erst in Zukunft zeigen.
Wie stark muss die Arktis geschützt werden?
KS: Ein kompletter Schutz, wie er in der Antarktis gilt, ist aus meiner Sicht nicht möglich. Denn Norwegen, Dänemark, Russland, die USA und Kanada besitzen und nutzen bereits Teile des nördlichen Polarmeeres. Dass jetzt, wo das Eis auftaut, andere Länder auch profitieren wollen, kann man nicht verhindern. Eine Nutzung der neuen Schifffahrtsrouten hätte sogar Vorteile: Weil der Weg viel kürzer ist, kann man Treibstoff einsparen, was dem Klima hilft. Wichtig ist jedoch, für eine nachhaltige Nutzung der Arktis zu sorgen.
SF: Das halte ich auch für wichtig. Und ich glaube nicht, dass das nur leeres Gerede ist. Das Umweltbewusstsein ist mittlerweile überall sehr gross. Das war früher anders, wie man beispielsweise an den stark verschmutzten russischen Küsten sieht, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in Vergessenheit gerieten. Das neu erwachte Interesse an der Arktis kann eine Chance sein, um mit solchen Altlasten aufzuräumen und es künftig besser zu machen. (Claudia Hoffmann, Diagonal 1/18)