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Pilze sind das Soziale Netzwerk der Waldbäume

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Pilze bilden ein Netzwerk im Boden, über das Waldbäume einander Nährstoffe und Informationen übermitteln. Forschende versuchen, die Chats im Wurzelwerk zu entschlüsseln.

Um das «Internet des Waldes» zu erkunden, ist WSL-Forscher Simon Egli auf eine hochsensible Spürnase angewiesen. Nicht die eigene, sondern die seines Hundes Miro. Die Schnauze dicht am Boden, wirft sich das Tier in die Leine und wetzt im hohen Gras umher, kaum hat Egli das Kommando «Such» gegeben. Es dauert keine dreissig Sekunden, da beginnt der Hund unter einer Buche zu buddeln, dass die Erdklumpen fliegen. «Stopp», ruft Egli und zieht Miro zurück. Er lacht: «Sonst frisst er seinen Fund gleich selbst.»

Mit einer kleinen Kelle gräbt Egli einen etwa walnussgrossen, schwarzen Klumpen aus, der auffällig nach frisch geschnittenem Gras riecht. Es ist ein Burgundertrüffel (Tuber aestivum) im unreifen Stadium, Marktwert im Frühsommer etwa dreihundert Franken pro Kilogramm, vor Weihnachten leicht das Zwei- bis Dreifache. Ohne Miro, den trainierten Trüffelhund, wäre die Delikatesse nicht ans Licht gekommen.

Simon Egli interessiert sich aber nicht nur für die Trüffelknolle, also den Fruchtkörper des Pilzes, sondern auch für das weitaus grössere, unterirdische Netzwerk aus Pilzfäden rings um die gut hundertjährige Buche. Sie steht in einer kleinen Baumgruppe auf einer Wiese am Waldrand in Birmensdorf. Der Standort – seine genaue Lage ist geheim – ist Teil eines europaweiten Trüffel-Überwachungsnetzes, mit dem die Wissenschafter mehr über die Biologie dieser Pilzart herausfinden wollen – und darüber, wie sie die Bäume unterirdisch verknüpft.

Denn im Wurzelwerk bilden Pilzfäden ein «Wood Wide Web», das Bäume zu einer Community verbindet – nicht nur in nächster Nachbarschaft, sondern über Dutzende oder gar Hunderte von Metern und über die Artgrenzen hinweg. Erst allmählich – dank genetischer Methoden – beginnt die Forschung zu erfassen, was im Untergrund des Waldes vor sich geht.

 

Wie viele der bekannten Waldpilze wie Steinpilz oder Eierschwamm ist auch der Trüffel ein Mykorrhiza-, also ein Symbiosepilz. Das heisst, dass Baum und Pilz voneinander profitieren: Der Pilz versorgt den Baum mit Nährelementen und Wasser und bekommt dafür Kohlenstoff in Form von Zucker. Die Pilzfäden ummanteln die Wurzelspitze, wachsen zwischen die Wurzelzellen und bilden dort das sogenannte Hartig’sche Netz, wo der Nährstoffaustausch stattfindet. Die Pilze vergrössern so das Wurzelnetzwerk der Bäume bis zu hundertfach. Neunzig Prozent aller Pflanzen leben in Symbiose mit Mykorrhizapilzen, manchmal kommen mehr als hundert Pilzarten an einem einzigen Baum vor.

 

Zucker für den Nachwuchs

In den 1980er-Jahren entdeckten Biologen zu ihrem grossen Erstaunen, dass Waldbäume im Wurzelraum Zucker untereinander austauschen. Die Entdeckung gelang dank einer neuen Technik, mit der sich Kohlenstoffmoleküle markieren und in kleinen Mengen nachweisen lassen. Heute weiss man, dass bis zu dreissig Prozent des produzierten Zuckers eines Baumes zu den Pilzen fliessen. Studien legen nahe, dass Bäume sogar gezielt ihren Sämlingen über das Pilznetzwerk Zucker schicken. «Das könnte man als eine Art Brutpflege bei Bäumen betrachten», erklärt Martina Peter, Biologin und Leiterin der Forschungsgruppe Mykorrhiza an der WSL.

Das Trüffel-Überwachungsnetzwerk unter Leitung der WSL soll aufklären, wie die unterirdische Tauschbörse zwischen Bäumen und Pilzen aufgebaut ist. Seit 2011 suchen vierzehn freiwillige Trüffelsucher mit ihren Hunden alle drei Wochen insgesamt 26 Standorte in der Schweiz, Deutschland, Ungarn und Grossbritannien ab. Sie wägen die aufgespürten Trüffel – bis zu fünfzig Stück pro Standort –, notieren Anzahl und Reifegrad und senden ein Scheibchen davon ins Mykorrhizalabor der WSL für die Genanalyse. Den Rest dürfen sie behalten.

Kaum hat Miro einen Trüffel aufgespürt – und dafür ein Stück Wienerli zur Belohnung bekommen –, steckt Simon Egli einen orangen Plastikstift als Markierung in den Boden. Am Baumstamm sind Geräte in weissen Plastikboxen montiert, die kontinuierlich die Bodenfeuchte, die Bodentemperatur und das Baumwachstum messen. «Wir wissen noch fast nichts über die Wachstumsdynamik der Trüffel», sagt Egli. «Diese möchten wir verstehen und auch mit dem Wachstum der Bäume verknüpfen.»

 

Kommunikationsforschung im Genetiklabor

Ob die gefundenen Trüffel alle vom gleichen Pilz stammen oder ob es mehrere Individuen pro Baum gibt, lässt sich nur mit genetischen Untersuchungen feststellen. Deshalb löst Martina Peter im Labor DNA aus den Trüffelscheibchen und bestimmt die Individuen mittels ihres genetischen Fingerabdrucks. An einem Standort des Trüffelnetzwerks in Süddeutschland enthüllte eine Bachelorarbeit erstmals die unterirdischen Verflechtungen: Ein Pilz-Individuum verband über bis zu zwanzig Meter hinweg drei Eichen, eine Fichte, eine Birke und eine Hagebuche; ein anderer Pilz vernetzte eine Eiche und eine Hagebuche. «Zudem können sich mehrere Trüffelindividuen einen Baum teilen und Distanzen von über hundert Metern überbrücken», sagt Peter.

Im Detail ist indes noch völlig unklar, wie das Wurzel-Web aufgebaut wird. Dem gehen WSL-Forschende derzeit in weiteren Feld- und Gewächshausexperimenten nach. In gelben Pflanzkästen auf dem WSL-Gelände gedeihen seit zwei Jahren Sprösslinge verschiedener einheimischer Baumarten sowie der nicht-heimischen Douglasie. Die Wissenschafter begasen diese mit markiertem Kohlenstoff, um zu prüfen, ob die Douglasien ebenso gut ins unterirdische Internet eingeloggt sind wie andere Bäume – und ob Trockenheit einen Einfluss auf die Pilzverknüpfungen hat.

Auch der Informationsübermittlung im «Wood Wide Web» ist Peter bereits auf der Spur: Ihre Untersuchungen zeigen, dass in Wurzeln, die mit Pilzen in Symbiose leben, bestimmte Gene für den Kohlenstofftransport stärker aktiviert sind. Der Pilz scheint also den Baum zur Zuckerabgabe regelrecht zu «überreden»: «Das belegt, dass der Pilz im ‹Internet des Waldes› nicht nur ein ‹Kabel›, sondern eine aktive Filter- und Schaltstelle ist», sagt Peter.

Heute weiss man ausserdem, dass die Bäume auch kleine Botenmoleküle über das Pilznetzwerk austauschen, dank derer sie einander informieren und offenbar sogar vor Schädlingen warnen können: Untersuchungen anderer Forschenden zeigten, dass Bäume «merken», wenn die Blätter ihrer Nachbarn von Blattläusen angezapft werden. Sie beginnen, Abwehrstoffe zu produzieren, noch bevor ihre eigenen Blätter befallen werden.

Miro hat inzwischen alle Trüffelknollen gefunden und nascht genüsslich von der mit wohlriechenden Pilzfäden durchzogenen Erde. Wenn es für die Trüffelsuche nicht so feine Hundenasen wie die seine bräuchte, könnte das Überwachungsnetzwerk durchaus um einiges grösser sein: «Der Burgundertrüffel ist häufiger als bisher angenommen», sagt Simon Egli. Trotz seines Rufs als kulinarische Exklusivität ist er in Buchenmischwäldern auf kalkhaltigen Böden weit verbreitet – in der Schweiz zum Beispiel im Jura und im Mittelland. «Seine weite Verbreitung macht ihn zu einem wichtigen Pilz für unsere Mykorrhiza-Forschung.» (Beate Kittl, Diagonal 2/18)

 

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