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Waldschäden frühzeitig erkennen

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Arthur Gessler ist überzeugt: Die Gesundheit des Waldes langfristig zu überwachen, lohnt sich. Im Interview spricht der WSL-Forscher über den Einfluss der Klimaerwärmung, die Bedeutung langer Datenreihen und die Vernetzung von Institutionen und Forschenden.

 

«Nur, wenn wir den Wald über viele Jahre beobachten, können wir auch schleichende Veränderungen aufzeigen.»

WSL-Forschende beobachten seit mehr als dreissig Jahren den Gesundheitszustand des Waldes an rund siebzig Standorten in der Schweiz. Lohnt sich dieser hohe Aufwand überhaupt?

Der Zustand des Waldes verändert sich immer wieder, zum Beispiel, wenn es einmal ein Trockenjahr oder einen Sturm gegeben hat. Aber aus solchen Momentaufnahmen lässt sich kein langfristiger Trend ableiten. Nur wenn wir den Wald über viele Jahre beobachten, können wir auch schleichende Veränderungen aufzeigen, die sich über Jahrzehnte entwickeln. Deshalb ist es aus meiner Sicht wichtig, das langfristige Monitoring zu unterstützen.

Die Anfänge des Waldmonitorings gehen in die 1980er-Jahre zurück. Das Thema Waldsterben beunruhigte seinerzeit viele Menschen.

Ja, auch die Forschenden. Man hat damals gesehen, dass es teilweise massive Waldschäden gab. Diese traten besonders an bestimmten Standorten auf, zum Beispiel dort, wo viele Abgase aus der Industrie den Wald belasteten. Aber auch grossflächige Schäden wurden re­gistriert. Da man aber keine langfristigen Daten hatte, konnte man gerade diese grossflächige Situation nicht gut einschätzen: Ist das ein Phänomen, das es auch früher schon gab, oder ist das eine ganz neue Entwicklung? Deshalb hat man damit begonnen, Monitoringnetze aufzubauen, um den Zustand des Waldes zu beobachten und Veränderungen langfristig einordnen zu können. Mit dem Monitoring halten wir auch Veränderungen fest, bei denen wir heute noch gar nicht abschätzen können, welche Bedeutung sie einmal in der Zukunft haben werden.

Welche Trends zeichnen sich ab?

Das System «Wald» reagiert träge. Bäume können sich an neue Bedingungen nicht so schnell an­passen. Dies zeigt sich zum Beispiel darin, dass die hohen Stickstoffeinträge der 1980er-Jahre und auch der Zeit danach noch immer im Wald wirken. Wenn Bäume viel Stickstoff bekommen, werden sie möglicher­weise anfällig gegenüber Trockenheit. Mit dem Klimawandel könnte diese Anfälligkeit in Zukunft eine grössere Bedeutung bekommen. Langfristig wird der Klimawandel auch die Artenzusammensetzung der Wälder verändern. Im Wallis beobachten wir auf einer unserer Monitoringflächen, dass viele Föhren absterben. Diese Informationen lassen sich im Zusammenhang mit weiteren Daten nutzen, um Projektionen zu entwickeln, wie der Wald in Zukunft aussehen wird und welche Baumarten unter den künftigen Klimabedingungen angebaut werden können.

 

Wie lässt sich der Zustand des Waldes überhaupt erfassen?

Wir haben zwei Netzwerke, die sich gegenseitig ergänzen: Sanasilva und die Langfristige Waldökosystemforschung (LWF). Mit der Sanasilva-Inventur werden seit 1985 auf einem 16-mal-16-Kilometer-Raster, welches über die ganze Schweiz gelegt ist, auf fünfzig Flächen jährlich rund 1100 Bäume untersucht. Experten erfassen den Kronenzustand, den Zuwachs und wie viele Bäume abgestorben sind. Dieselben Daten erheben wir auch auf den neunzehn Beobachtungsflächen, die zum LWF gehören. Darüber hinaus führen wir an diesen Standorten zahlreiche weitere Messungen durch, die helfen sollen, die Ursachen für die Veränderung des Gesundheits­zustands und des Wachstums zu erkennen. Wir bestimmen die Einträge von Stickstoff und Schwefel, den Ozongehalt in der Luft und schauen uns den Wasser- sowie den Nährstoffhaushalt im Boden an.

 

Was geschieht mit all den Daten?

Wir analysieren und vergleichen die Messwerte, um Variationen zwischen einzelnen Jahren sowie langfristige Trends zu erkennen. Um die Daten langfristig zu speichern und auch anderen Wissenschaftern verfügbar zu machen, legen wir sie in unseren Datenbanken ab. In zusammengefasster Form geben wir sie an das Bundesamt für Umwelt (BAFU) weiter. Zudem nutzt MeteoSchweiz die Daten unserer Meteo­stationen und wird sie in Zukunft in ihre Vorhersagemodelle integrieren. Alle Daten werden auch an die zentrale Datenbank des europäischen Netzwerks ICP- Forests transferiert, dem «Inter­national Co-operative Programme on Assessment and Monitoring of Air Pollution Effects on Forests». LWF und Sanasilva sind Teil dieses Netzwerks, in das fast alle Länder Europas eingebunden sind. In allen beteiligten Ländern werden Beobachtungsflächen nach den gleichen Kriterien ausgesucht und die gleichen Methoden langfristig an­gewendet.

Wie wichtig ist diese internationale Vernetzung?

Sie ist sehr wichtig, denn dank des ICP-Forest Netzwerks können Forschende nicht nur im eigenen Land, sondern in ganz Europa erkennen, wie sich beispielsweise die Luftverschmutzung auf den Wald auswirkt. Die internationale Zusammenarbeit und die breite Datenbasis sind auch wichtig für wissenschaftliche Analysen. WSL-Forschende wollen zum Beispiel verstehen, wie sich die Stickstoffeinträge, die Ozonkonzentra­tion oder die Veränderung der Temperatur auf das Wachstum der Bäume auswirken. Solche Fragen können nur mit grossen europaweiten Datensätzen, die auf einen sehr langen Zeitraum zurückgreifen, beantwortet werden.

Sie sind Mitinitiator des Swiss­ForestLab, eines weiteren Netzwerks, das 2017 gegründet wurde. Was ist die Idee dahinter?

Wir möchten mit dem Swiss­ForestLab Synergien bündeln, indem wir Forschende, aber auch unterschiedliche Infrastrukturen – dazu gehört auch das LWF – in der Schweiz zusammenführen. Es gibt im Rahmen des SwissForestLab zum Beispiel ein Projekt, das die Daten zum Waldwachstum in der Schweiz zusammenbringt. Ziel ist es, bessere Modelle zu entwickeln, um das Waldwachstum unter künftigen Klimabedingungen vorherzusagen. Darüber hinaus wollen wir die Praxis einbinden, um neue Erkenntnisse möglichst zeitnah umsetzen zu können. Geplant sind auch jährliche Workshops, in denen wir unsere Stakeholder wie Wald­besitzer oder Kantonsoberförster fragen, auf welche drängenden Probleme die Forschung und das Monitoring aus ihrer Sicht Ant­worten finden soll.

Wie wird die Zukunft des Wald­monitorings aussehen?

Wir werden neue technische Entwicklungen nutzen, um künftig mehr Informationen von Satelliten und Drohnen über den Zustand des Ökosystems Wald zu erhalten. Dazu arbeiten wir schon mit Kolleginnen und Kollegen aus dem Bereich Fernerkundung an der WSL und mit der ETH Zürich zusammen, um Bild­informationen mithilfe von künstlicher Intelligenz zu bewerten. Satellitenaufnahmen könnten so räumlich und zeitlich hochaufgelöste Informationen bieten, die auch kleinräumige und kurzfristige Änderungen des Waldzustands erfassen. Diese Methoden werden zwar das klassische Monitoring, bei dem Fachleute vom Boden aus beobachten und vermessen, nicht ersetzen, aber auf nützliche Weise ergänzen. (Sara Niedermann, Diagonal 2/18)

 

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