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Doppelpass R. Iten & A. Björnsen

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Die Energiewende zwingt zur Zusammen­arbeit

Für die Energiewende wird viel geforscht, beim Transfer in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sind jedoch noch viele Fragen offen. Ein Gespräch mit Astrid Björnsen (WSL) und Rolf Iten (Infras).

 

«Der grosse Haken ist für mich, dass man noch nicht weiss, wie man die Energiewende in die Gesellschaft und die Wirtschaft hineinbringen soll.»

 

Sie beide beschäftigen sich mit den möglichen Folgen der Energie­wende. Wo gibt es die grössten Wissenslücken?

RI: Wenn man einen so grossen technischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandel an­gehen will, braucht man einen ganzen Kranz an Informationen. Zuerst über Technik und Res­­sourcen, dann darüber, ob das ge­sellschaftlich akzeptabel und wirtschaftlich verkraftbar ist. Der grosse Haken ist für mich, dass man noch nicht weiss, wie man die Energiewende in die Gesellschaft und die Wirtschaft hineinbringen soll.

AB: Die Herausforderung ist, ein Gesamtbild zu schaffen und da­raus abzuleiten, welches gute Mass­nahmen zur Umsetzung der Energiewende sind, bis hinunter auf die lokale Ebene – zum Beispiel wie viele Windräder für eine bestimmte Talschaft zumutbar sind. Das ist noch nicht gelöst.

Wie bringt man Informationen dorthin, wo sie nützlich sind?

RI: Die Energieforschung dünkt mich heute stärker universitär und weniger anwendungsorientiert als früher. So sind für Professoren oder Doktoranden wissenschaftlich interessante Fragestellungen oft wichtiger als Fragen, die in der Gesellschaft, Wirtschaft oder der Politik aufkommen.

AB: Immerhin wächst in der Forschungslandschaft das Bewusstsein für das sogenannte Valley of Death, der Lücke zwischen Forschung und Markt. Forschungs­pro­gramme wie das europäische Rahmenprogramm Horizon 2020 oder die Swiss Competence Centers for Energy Research (SCCER) schaffen vermehrt Anreize, diese Lücke zu schliessen.

RI: Das Tal des Todes liegt für mich nicht so sehr beim reinen Technologie-Transfer, sondern beim Transfer in Gesellschaft und Politik. Auf dieser Ebene macht man zu wenig. In die richtige Richtung ging der Energietrialog, ein hochkarätiges Diskussionsforum von Wissenschaftern, Unternehmern, Parlamentariern, Konsumenten und NGOs.

AB: In der Forschung ist das Kommunikationsdefizit systembedingt. Was in einer Forscherkarriere zählt, sind Publikationen. Investi­tionen in Netzwerke mit Politikern oder Gespräche mit der Bevölkerung, Wissensvermittlung also, werden nicht ausreichend gewürdigt. Andererseits ist es noch immer sehr schwer, Nicht-Wissenschafter an eine Energieforschungskonferenz zu bekommen, diese Form passt nicht zu den vollen Agenden von Politikern und Journalisten. Bei gewissen Forschern braucht es auch ein neues Rollenverständnis. Es sollte mehr Leute geben, die das Wissen gezielt der Bevölkerung und der Politik vermitteln.

Es wird also viel geforscht, etwas geredet, aber wenig umgesetzt. Warum?

RI: Ich weiss auch nach mehr als 20 Jahren im Geschäft noch nicht, wie der gordische Knoten durchschlagen werden kann. Man weiss, was technologisch und ressourcenmässig machbar ist. Man weiss, dass die Energiewende wirtschaftlich und sozial bestens verkraftbar ist – aber diese Message kommt nicht rüber. Sobald man wirksame Steuerungsmassnahmen einführen will, fängt man allent­halben an zu schreien und zu jammern.

Heisst das, dass man eigentlich keinen Plan hat, was man mit den Resultaten der Forschung – auch jener zu den Auswirkungen – an­fangen soll? 

AB: Es gibt in der Forschung diesen Geist des Vorwärtsgehens, man will neue Technologien ent­wickeln, ein wenig die Welt retten. Man will keine Bremser am Wegrand, die sagen: Halt, schauen wir einmal, ob dies die richtige Richtung ist. Ich sehe aber einen gros­sen Bedarf für eine Forschung, die mit Daten und Studien voraussagt, wie sich Massnahmen wie zum Beispiel finanzielle Lenkungs­massnahmen auswirken, und auf diese Weise die Transformation des Energiesystems begleitet.

RI: Es ist aber auch ein Kommunikationsthema. Die Leute verstehen nicht, wie finanzielle Lenkungssysteme funktionieren ...

AB: … überhaupt fehlt es am Systemverständnis in der Politik und der Bevölkerung. Jetzt wird wieder gegen Pumpspeicher­kraftwerke gewettert, ohne zu verstehen, dass die Energiewende nur mit Speichern zu machen ist.

RI: Da sind auch Verhaltens­ökonomen oder Sozialpsychologen gefragt, die sich mit der Wahrnehmung der Dinge beschäftigen. Wie entsteht die Bereitschaft, einen Wandel mitzutragen? Da sind wir noch nicht wahnsinnig weit.

AB: Nein, gar nicht!

An der WSL forschen ja auch Sozialwissenschafter und Ökonomen. Was kommt dabei raus?

AB: Diese Projekte fördern manchmal Überraschendes zutage. Zum Beispiel zeigte sich bei einer Studie wie Touristen die Erhöhung der Grimselstaumauer wahrnehmen, dass die Wasserkraft gar nicht als grüne Energie betrachtet wird. Sie ist nicht so positiv und innovativ behaftet wie Wind, Sonne oder Biomasse. Eine andere WSL-Studie zeigte auf, dass sich Fotovoltaik auf Dächern relativ konfliktfrei realisieren liesse, während es für Windkraft nur wenige Flecken mit geringem Konfliktpotenzial gibt.

Wie könnten solche Erkenntnisse in die Umsetzung der Energiewende einfliessen?

AB: Das Problem ist, dass Forscher und Unternehmer, aber auch Politiker völlig unterschiedliche Sprachen reden. Es bräuchte ein nationales Netzwerk, das interdisziplinäres Wissen oder Techno­logien aus dem Energiebereich für die Wirtschaft nutzbar macht. Dieses sollte das gegenseitige Verständnis fördern und die ver­schiedenen Branchen vereinen, die den Energieumbau in die Tat umsetzen.

RI: Und irgendwie sollte man es schaffen, aus den Rollenbildern und ideologischen Grabenkriegen herauszukommen – wer ist für erneuerbare Energien, wer für Atomkraft – wie sie im Parlament im Gange sind.

AB: Um das Gesamtbild quasi aus der Vogelperspektive sehen zu können, müssen sich die einzelnen Forschungsdisziplinen stärker untereinander verständigen. Die Energiewende zwingt zur Zusammenarbeit, wenn man sie sinnvoll umsetzen will. (Beate Kittl, Diagonal 2/16)