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Energie Strategie 2050

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Biomasse für die Schweizer En­er­gie­wende

Die WSL untersucht innerhalb der nationalen Energie-Kompetenzzentren die Energiepotenziale der Biomasse. Der Fokus liegt nicht nur auf Holz, son­dern auch auf unverholzter Biomasse.

 

Es ist friedlich in der Parkanlage im Herzen von Zürich. Junge Leute sitzen in Grüppchen auf dem Rasen am Platzspitz und geniessen die morgendlichen Sonnenstrahlen. Gegenüber dreht ein Angestellter von Grün Stadt Zürich mit einem Rasenmähertraktor seine Runden. So wie er und seine Kollegen das in sämtlichen Grünanlagen der Stadt regelmässig tun, damit die Sonnenhungrigen den Rasen nutzen können. Eine ganze Menge an Gras, die so jährlich zusammenkommt. Doch was geschieht mit dieser Biomasse?

Der Geograf und Raumplaner Georg Müller hat sich für seine Studie an der WSL zum Ziel gesetzt, herauszufinden, wieviel sogenanntes Landschaftspflegegrün im Kanton Zürich anfällt und wie dieses verwertet wird. Dabei untersuchte er nicht nur Rasenschnitt aus Pärken oder anderen öffentlichen Grünflächen im Siedlungsgebiet, sondern auch das unverholzte Schnittgut, das bei der Pflege von Naturschutzgebieten oder beim Mähen entlang von Strassen oder Eisenbahnlinien anfällt. Dabei interessierte ihn vor allem, in welchem Masse sich diese «pflanzlichen Abfälle» nutzen lassen, um daraus Energie zu gewinnen.

«Im Rahmen der Energiewende spielen erneuerbare Energieträger eine immer wichtigere Rolle. Da kann auch die Biomasse ihren Teil dazu beitragen», sagt Georg Müller. Sämtliche Biomasse lässt sich nämlich auch energetisch verwerten. Entweder wird sie verbrannt und produziert dadurch Wärme, oder sie wird zu Biogas vergärt. Der Biogasproduktion liegen Fäulnisprozesse zugrunde, die sich in Mooren und am Seegrund natürlicherweise abspielen: Mikroorganismen bauen organische Substanz unter Luftabschluss ab, und es bildet sich Biogas. In einem Reaktor lässt sich dieses sammeln und in einem Kraftwerk in Strom umwandeln oder nach einer speziellen Aufbereitung ins Erdgasnetz einspeisen. Auch das Schnittgut vom Platzspitz wandert jede Woche in die städtische Biogasanlage.

 

Strom für 5000 Haushalte

Natürlich macht das Landschaftspflegegrün nur einen kleinen Teil der energetisch nutzbaren Biomasse aus. Trotzdem ist diese Art der Energieerzeugung in anderen Ländern schon lange ein Thema. Deutschland subventioniert sie gar mit finanziellen Mitteln aus der Staatskasse. In der Schweiz hingegen wird über die energetische Nutzung von krautiger Biomasse noch wenig diskutiert. Mit seiner Arbeit wollte Georg Müller das ändern. Doch das war nicht seine einzige Motivation: «Wenn wir die Biomasse energetisch nutzen, die bei der Pflege von Naturschutzflächen sowieso anfällt, können wir die Anliegen des Naturschutzes und des Klimaschutzes miteinander verbinden.» Aus Sicht des Klimaschutzes bedeutet das, dass bei der Umwandlung der Biomasse zu Energie kein zusätzliches CO2 in die Luft gelangt. Und für den Naturschutz, dass ein regelmässiges Mähen und Abtransportieren des Schnittguts die Vielfalt der Pflanzen- und Tierwelt beispielsweise auf Streuwiesen fördert.

Um herauszufinden, wie viel Landschaftspflegegrün im Kanton Zürich tatsächlich vorhanden ist und wie viel Energie sich daraus gewinnen liesse, stützte Georg Müller sich auf vorhandene Datenbanken, zum Beispiel auf Flächeninventare der verschiedenen Lebensräume. Wo keine Daten vorhanden waren, führte er Interviews mit Fachleuten aus dem Unterhalt der verschiedenen Grünräume durch. Damit er auch Aussagen machen konnte, die über den Kanton Zürich hinausgehen, rechnete er die Zahlen anschliessend für die ganze Schweiz hoch. Dabei zeigte sich: Wenn wir das Landschaftspflegegrün der gesamten Schweiz energetisch verwerteten, liesse sich damit der jährliche  Strombedarf von rund 25 000 Haushalten decken. Doch Georg Müller schränkt ein: «Heute nutzen Landwirte etwa 40 bis 50 Prozent des Landschaftspflegegrüns als Tierfutter oder Streu, vor allem Schnittgut aus Naturschutzgebieten. Dieses für die Energiegewinnung zu verwenden, wäre wenig sinnvoll, da es bereits auf nachhaltige Weise genutzt wird.»

Dasselbe gilt für den Rasenschnitt, der als Mulch liegenbleibt, wie das in einigen Parkanlagen praktiziert wird. Das kann wirtschaftlich und ökologisch von Vorteil sein, lässt sich auf diese Weise doch Dünger sparen. Georg Müller hat deshalb solche Flächen ausgeklammert und nur das nachhaltig nutzbare energetische Potenzial von Landschaftspflegegrün berechnet (für Potenzialbegriffe s. auch Infografik). Für die ganze Schweiz hochgerechnet liegt dies bei rund 90 000 Gigajoule, womit ungefähr 5000 Haushalte ihren Strombedarf decken könnten. Das grösste Potenzial ortet Georg Müller beim Strassenbegleitgrün entlang von Autobahnen und Kantonsstrassen. Der Unterhaltsdienst transportiert dieses aus Sicherheitsgründen bereits heute ab, da das Material sonst auf die Strasse geweht wird oder Abflüsse verstopft.

 

Biomasse wird in Zukunft wichtiger

Auch wenn das Landschaftspflegegrün nur einen kleinen Beitrag zur Energiewende leisten kann, ist Georg Müller überzeugt, dass Biomasse als Energieträger in Zukunft an Bedeutung gewinnen wird. Eine Aussage, der sich Oliver Thees nur anschliessen kann. Er leitet an der WSL die Forschungsgruppe Forstliche Produktionssysteme. Zusammen mit Vanessa Burg, Matthias Erni und Renato Lemm untersucht er im Rahmen des Kompetenzzentrums BIOSWEET, welche Rolle die Biomasse im zukünftigen Schweizer Energiesystem spielen könnte. Als Teil der Energiestrategie 2050 bauten die Kommission für Technologie und Innovation KTI und der Schweizerische Nationalfonds SNF acht Kompetenzzentren für Energieforschung auf, die Swiss Competence Centers for Energy Research (SCCER). Das SCCER BIOSWEET (BIOmass for SWiss EnErgy fuTure) ist eines davon.

Die Vision, die Oliver Thees und die anderen Forschenden aus insgesamt neun Institutionen verfolgen: Bis 2050 soll sich die Energieversorgung aus Biomasse ungefähr verdoppeln. Die meisten Institutionen innerhalb vom SCCER BIOSWEET legen ihren Fokus auf Technologieforschung; sie untersuchen, wie sich Biomasse in Zukunft effizienter in Strom, Biogas oder flüssige Treibstoffe umwandeln lässt. Das WSL-Team um Oliver Thees nimmt die einzelnen Biomasse-Ressourcen und ihre Verfügbarkeit für energetische Zwecke genauer unter die Lupe. Einerseits ist da die verholzte Biomasse. Dazu zählt nicht nur das Waldholz – zum Beispiel Baumkronen, Äste oder dünne Stämme, die nicht für die Industrie verwendet werden. Auch Holz aus dem Unterhalt von Bäumen und Sträuchern, die in Siedlungsgebieten wachsen, oder von Strassen- oder Uferböschungen (Flurholz) lässt sich energetisch nutzen. Genauso wie Holz aus Gebäudeumbauten (Altholz) oder Produktionsabfälle aus Sägereien oder Zimmereien (Restholz). Andererseits gibt es auch nicht verholzte Biomasse. Neben dem oben beschriebenen Landschaftspflegegrün zählen dazu auch Hofdünger, landwirtschaftliche Ernteabfälle, Grünabfälle aus Haushalt, Garten und Industrie sowie Klärschlamm. Da alle Biomassetypen in Bezug auf Menge und Energiegehalt sehr verschieden sind, gilt es zuerst einmal, eine vergleichbare Basis zu schaffen. Das Forscherteam berechnet für alle Typen, wieviel Tonnen Trockensubstanz theoretisch und tatsächlich nachhaltig nutzbar vorhanden sind und errechnet ihr Energiepotenzial für die Zukunft – aufgeschlüsselt für alle Regionen der Schweiz. Oliver Thees: «Diese Zusammenstellung erlaubt es uns erstmals, die Biomassen miteinander zu vergleichen und abzuleiten, wo heute und in Zukunft energetisch am meisten herauszuholen ist» – eine wichtige Entscheidungsgrundlage für Politiker oder Betreiber von Biomassekraftwerken.

Die erste Phase des Forschungsprojektes ist Ende 2016 abgeschlossen. Bis dahin werden die Daten für alle Biomassetypen vorliegen. Im zweiten Teil wird das Team verschiedene Energieszenarien definieren und simulieren, wie sich diese Typen auf der Basis der SCCER BIOSWEET-Projektdaten bis 2050 entwickeln werden. Aus einer Vorstudie lassen sich jedoch bereits jetzt erste Schlüsse ziehen: Im Forschungsprojekt «Erneuerbare Energien Aargau» (s. auch Diagonal 2/15) untersuchte eine Mitarbeiterin von Oliver Thees die Biomassen im Kanton Aargau auf ähnliche Art, wie dies nun beim SCCER BIOSWEET für die ganze Schweiz geschieht. Dort zeigte sich, dass Waldholz und Hofdünger die grössten energetisch nutzbaren Biomassepotenziale aufweisen (s. Infografik). Der Vergleich mit den anderen erneuerbaren Energien im Aargau ergab, dass der Beitrag der Biomasse zur erneuerbaren Energieversorgung rein mengenmässig wohl auch in Zukunft bescheiden bleiben wird. Für Oliver Thees aber kein Grund, die Hände in den Schoss zu legen: «Biomasse ist im Gegensatz zu Sonne oder Wind speicherbar und so zeitlich flexibel verfügbar, um schwankende Energiemengen aus Sonne und Wind auszugleichen. Zudem lassen sich daraus als einzigem erneuerbaren Energieträger sowohl Wärme und Strom als auch Treibstoff gewinnen. Deshalb bin ich überzeugt, dass die Biomasse in Zukunft, trotz geringer Mengen, im Gesamtenergiesystem eine bedeutendere Rolle als heute spielen wird.» (Christine Huovinen, Diagonal 2/16)