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Persönliche Kontakte pflegen

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«Das Wichtigste ist, dass man den Austausch mit der Praxis will und auch Zeit dafür investiert.»

Eine Umfrage der WSL hat gezeigt, dass für Fachleute im Naturschutz die eigene Erfahrung mehr zählt als Fakten aus der Wissenschaft. WSL-Forscher Rolf Holderegger und Naturschutzpraktiker Stefan Birrer diskutieren, wie der Austausch zwischen Forschung und Praxis verbessert werden kann.

 

Herr Birrer, lesen Sie als Praktiker wissenschaftliche Publikationen in Fachzeitschriften?

SB: Ich lese vor allem Publikationen mit Bezug zur Schweiz und zu Mitteleuropa, amerikanische Fachzeitschriften sind für mich kaum von Nutzen. Aber es gibt ja nicht nur eine Praxis und einen Praktiker. Ein Verantwortlicher eines kleinen Schutzgebiets braucht keinen Kontakt zur Forschung, Leute im konzeptionellen Naturschutz hingegen schon.

Was kann die Forschung tun, um in der Praxis eine grössere Wirkung zu erlangen?

RH: Man muss etwas forschen, das für die Praxis relevant ist. Das Wichtigste ist aber, dass man den Austausch mit der Praxis will und auch Zeit dafür investiert. Wenn dich zwei, drei Leute aus der Praxis persönlich kennen und dir am Telefon Fragen stellen können, dann erzielst du wahrscheinlich mehr Wirkung als wenn du viel publizierst.
SB: Dass beide Seiten den Austausch wollen, finde ich sehr wichtig. Wir hatten mehrmals praktische Fragen, die gut in einer Masterarbeit beantwortet hätten werden können. Leider haben wir niemanden aus der Forschung gefunden, der diese Fragen für uns untersucht hätte. Vielleicht interessiert die Forschenden die Problemstellung nicht, vielleicht finden sie aber auch keine Studierenden, die eine praktische Abschlussarbeit machen wollen.

Müsste man also schon in der Ausbildung Forschung und Praxis besser verbinden?

RH: Ja. An der Hochschule werden die Studierenden mit viel theoretischem Wissen eingedeckt. Ein grosser Anteil der Studienabgänger arbeitet aber später in der Praxis, nur ein verschwindend kleiner Teil hat die Chance, längerfristig in der Forschung zu bleiben. Die Hochschulen bilden also die Fachleute aus, die bei Behörden, Ökobüros und Firmen gebraucht werden. Auf diese Tatsache müsste in der Ausbildung mehr Augenmerk gelegt werden. Besonders gewünscht wären etwa bessere Artenkenntnisse oder Wissen zum gesetzlichen Umfeld, aber auch Soft Skills wie Kommunikationsfähigkeit und Verhandlungsgeschick.
SB: Da stellt sich die Frage, ob das nicht verschwendete Ressourcen sind, wenn die Leute nur in der Theorie, nicht aber für die Praxis ausgebildet werden.

Informationsquellen in der Naturschutzpraxis »

 

RH: Neben der Grundlagenforschung braucht es darum auch angewandte Forschung an den Schweizer Hochschulen und Forschungsinstituten. Sie ist nicht nur wichtig für die Praxis, sondern auch ein Leistungsausweis gegenüber Politik und Gesellschaft. Diese erwarten von der Forschung neben einem hohen wissenschaftlichen Renommee auch einen Beitrag zur Lösung aktueller Probleme. Grundlagenforschung und angewandte Forschung gehen oft Hand in Hand und können sich gegenseitig befruchten.

Aber bringt Grundlagenforschung der Praxis überhaupt etwas?

RH: Oft nur indirekt und begrenzt. Es gibt den Begriff des «Trickle down»-Effekts: Man macht Grundlagenforschung und kümmert sich nicht darum, ob die Resultate anwendbar sind. Irgendwann, so hofft man, würden diese dann schon bis zur Praxis durchsickern. Eigentlich weiss man aber, dass dieser Ansatz nicht klappt oder sehr lange dauert.
SB: Bei der Genetik hat er aber funktioniert. Diese war am Anfang Grundlagenforschung, nun setzt man genetische Methoden im Naturschutz breit ein. Ich finde diese Annahme, dass die Forschungsresultate schon irgendwann in der Praxis ankommen, grundsätzlich richtig. Es gibt wohl nur wenige Praktiker, die die Grundlagenforschung als Problem ansehen. Es muss aber auch genügend Raum und Finanzen geben, damit praxisrelevante Forschung stattfinden kann.

Wie nützlich ist die angewandte Forschung überhaupt für die Praxis?

SB: Sehr nützlich. Aber ich bin in den letzten Jahren gegenüber der Wissenschaft etwas kritischer geworden. Es gibt immer wieder Arbeiten, die mich nicht überzeugen, auch wenn die statistischen Auswertungen korrekt sind. Oft passieren methodische Fehler, die vermieden werden könnten, wenn eine Fachperson aus der Praxis beigezogen würde. Die Forschung fragt auch häufig zu wenig nach der Relevanz: Ist es bedeutsam, wenn es bei einer bestimmten Mähtechnik fünf Prozent mehr oder weniger einer Insektenart gibt? Oder sind vielleicht andere Faktoren wichtiger? Allerdings ist es mir auch unangenehm, als Praktiker den Forschenden Fehler in einer Untersuchung zu unterstellen; es ist immer sehr einfach zu kritisieren.

Einmal umgekehrt gefragt: Was wünscht sich denn die Forschung von der Praxis?

RH: Es gibt viele Forschungsfragen, die für die Praxis relevant sind und die mit den Daten der Praxis selbst, vor allem der Kantone, beantwortet werden könnten. Aber wir kommen an diesen Datenschatz nicht heran, weil er nicht aufbereitet ist. Hier wünsche ich mir grössere Offenheit. Auch bezüglich dessen, was die Forschung zu bieten hat. Man hört Vorurteile wie: «Die Forschenden wollen nur publizieren, wenn man mit ihnen redet, versteht man nichts. Sie sagen uns, wie man ihre Resultate interpretieren darf und am Schluss hat man keine Aussage.» Das Klischee stimmt ein Stück weit, aber es gibt viele Forschende, die zugänglich sind und sich mehr Austausch mit der Praxis wünschen.
SB: Diese negative Grundhaltung gibt es in der Praxis tatsächlich. Vor allem Artenspezialisten sind hier manchmal unglaublich streng. Sie finden, dass jemand, der nur ein paar Jahre studiert hat, der keine Erfahrung hat und sich für die Feldarbeit erst in eine Artengruppe einarbeiten muss, am Schluss kein gutes Resultat erhalten wird.

Wie können diese Vorurteile überwunden werden?

RH: Wir haben ein paar Mal Tagungen gezielt für die Praxis angeboten, etwa zu Grünbrücken und zur Naturschutzgenetik. Wichtig sind Themen aus der Praxis und ein Programm, bei dem auch die Praktiker zu Wort kommen. Und es muss viel Zeit für den Austausch geben, damit man miteinander reden und sich kennenlernen kann.
SB: Solche Treffen finde ich sehr wertvoll, davon könnte es mehr geben. In Basel gibt es die Tagung «Naturschutz in und um Basel», da kommen alle Naturschützer aus der Region mit Forschenden zusammen und es werden wissenschaftliche Arbeiten vorgestellt.
RH: Aus meiner Sicht bringt der persönliche Kontakt am meisten für den Austausch zwischen Forschung und Praxis.
(Lisa Bose, Diagonal 2/19)

 

 

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