Bärenalarm und erste Messungen

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Drei SLF-Mitarbeitende verbringen zwei Monate auf dem Forschungsschiff Polarstern, um im arktischen Eis verschiedene Schneedaten aufzunehmen. Im Logbuch-Blog berichten sie von ihrer Reise. Teil 2.

Und dann war es endlich so weit: Die Gangway senkt sich vom Schiff aufs Eis und wir betreten das Meereis zum ersten Mal auf dieser Expedition. Ruzica und Matthias waren schon in den Polarregionen unterwegs. Für mich ist es das erste Mal. Es ist schon ein besonderes Gefühl, wenn man einfach vom Schiff aus auf das Meer gehen kann. Dort bewegt man sich auf gut ein bis zwei Metern dickem Eis und kann sogar mit dem Schneemobil fahren. Darunter sind über 4000 Meter Ozean. Besonders kalt ist es nicht. Es hat etwa 0° C und es bläst ein leichter Wind. Mit unseren Polaranzügen ist es aber warm genug.

Um zu diesem Punkt zu kommen, verbrachten wir bereits eine Woche an Bord des deutschen Forschungsschiffs «Polarstern». Zunächst ging es von Tromsö aus noch durch die norwegischen Fjorde und dann auf das offene Meer. Nach zwei Tagen auf See erreichten wir Longyearbyen in Spitzbergen. Dort machten wir nur einen kurzen Stopp für Formalitäten, um dann gleich weiter in Richtung Norden aufzubrechen. Nach einem weiteren Tag kamen wir an der Eiskante an. Es ist sehr beeindruckend, wenn man nach einigen Tagen zum ersten Mal das Eis sieht, in dem wir uns die nächsten acht Wochen bewegen werden. Der Übergang von offenem Meer zu Eis ist scharf. Innerhalb von wenigen 100 Metern befinden wir uns schon in dünnen Eisschollen, die fast die ganze Oberfläche bedecken.

Direkt an der Eiskante treffen wir, wie geplant, die Tara Polar Station. Das neu gebaute französische Schiff erinnert an ein UFO oder eine Raumstation. Der Plan ist, sich in den nächsten 20 Jahren immer wieder im arktischen Meereis einfrieren zu lassen und dann über ein Jahr mit dem Eis zu driften und dabei Experimente durchzuführen. Da das Schiff nicht zum Eisbrechen, sondern zum Driften gebaut ist, begleitet es uns einige Meilen in das Eis hinein. Es fährt direkt hinter der Polarstern und nutzt so die freie Fahrtrinne, um besser vorwärtszukommen. Schon am nächsten Tag lassen wir die Tara Polar Station hinter uns und machen uns weiter auf unserem Weg in den Norden.

Auf dem Schiff ist es sehr eindrücklich zu sehen, wie teilweise meterdicke Eisschollen unter der Last des Rumpfes zerbrechen und zur Seite weggedrückt werden. So oft es das Wetter erlaubt – und das ist in der im Sommer oft nebligen Arktis nicht so häufig – führt die Crew mit dem Bord-Helikopter Erkundungsflüge durch, um die beste Route durchs Eis zu finden. Dickes Eis ist oft unterbrochen von Rinnen mit offenem Wasser und teilweise Kilometer-grossen eisfreien Passagen. Zusätzlich stehen tagesaktuelle Satellitenbilder bereit, die Aufschluss über die Eisverteilung und mögliche Fahrtwege geben. Es ist schwierig, unsere Ankunft an der ersten Messposition vorauszusagen: Ist das Eis zu dick, dann muss das Schiff oft wieder rückwärts fahren, um Schwung zu holen, der dann teils nur für wenige weitere Meter reicht.

Nach zwei Tagen Eisbrechen ist es dann so weit. In der Früh gehen die ersten Forschenden aufs Eis und erkunden die Scholle. Wie dick ist das Eis? Wo macht es Sinn, welche Messungen durchzuführen? Die gut 50 Forschenden an Bord haben viele unterschiedliche Interessen und es gilt, so viele wie möglich zu erfüllen. Nur so kann man am Ende einen umfassenden Datensatz erstellen. Für unsere atmosphärischen Turbulenzmessungen ist es wichtig, dass wir an einem Übergang von Schmelzwassertümpel («melt pond») zu Eis sind und der Wind die Luft vom melt pond über das Eis transportiert. Unsere Oberflächen- und Schneemessungen versuchen wir an so vielen Orten wie möglich durchzuführen, um die räumliche Heterogenität der sogenannten «Surface Scattering Layer» (SSL), also der Auftauschichtschicht an der Oberfläche des Eises, die das einfallende Licht streut und damit bestimmt, wie hell oder dunkel das Eis erscheint, und wie viel Licht es reflektiert (wichtig für die Schmelze) oder wie viel Licht es durchlässt (wichtig für das Meeresökosystem und den CO2-Kreislauf), bestmöglich erfassen zu können. Zusätzlich müssen Wege markiert werden, damit jede Forschungsgruppe auf unberührtem Eis arbeiten kann.

Nachdem der Voraustrupp die Scholle erkundet hat und die Stationen und Wege markiert sind, gibt es für uns noch ein kurzes Meeting, um die Aufteilung zu erklären. Und dann: ein Eisbär. Ein aufmerksamer Beobachter hat von der Brücke aus einen auf dem Eis liegenden Eisbären erkannt, etwa einen Kilometer entfernt. Vorerst kann niemand aufs Eis. Die Fahrtleitung entscheidet nach einiger Beratung, dass vorerst nur drei Gruppen aufs Eis dürfen. Jede Gruppe muss dabei einen Bear Guard dabei haben. Eine Person, die nicht mithelfen kann, sondern nur dazu da ist, Ausschau nach Eisbären zu halten. Zusätzlich wird der liegende Bär laufend beobachtet. Da wir unsere Turbulenzmessungen auf- und wieder abbauen wollen und so die Messzeit begrenzt ist, dürfen wir mit als Erstes raus. Wir kommen gut voran und schon am Abend stehen die ersten beiden Turbulenzstationen und messen.

Bereits am nächsten Morgen ist der Bär weitergezogen und mehr Forschende dürfen aufs Eis. Dank super Unterstützung von anderen Teams stehen kurz nach dem Frühstück auch die Leinwände für das IR Screen Setup und die Infrarotkamera zeichnet kontinuierlich Daten auf. Da diese Messungen jetzt laufen, haben wir Zeit, die Surface Scattering Layer an möglichst vielen Stellen zu vermessen. Dazu nehmen wir jeweils ein Bild mit dem SnowImager auf, aus dem wir dann die spezifische Oberfläche und die Dichte bestimmen können. Zusätzlich messen wir noch die Höhe dieser Schicht und nehmen von einigen Bereichen Bilder aus verschiedenen Winkeln auf, anhand derer wir später die Oberflächenrauigkeit rekonstruieren können. Ausser diesen Messungen haben wir auch Zeit, anderen Forschenden bei ihren Arbeiten zu helfen. Wir dürfen helfen, Eisbohrkerne zu entnehmen, die dann in dem schiffseigenen Kältelabor analysiert werden. Ausserdem helfen wir beim Ausbringen einer Boje, die das Temperaturprofil im Eis und im direkt darunter liegenden Ozean misst.

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Vom offenen Wasser in das erste Eis rein. Diese eher rundlichen Schollen mit dem überstehenden Rand nennt man auch Pancake Eis. (Foto: Michael Haugeneder / SLF)
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Treffpunkt an der Eiskante mit der Tara Polarstation. Die Tara ist ein brandneues "Schiff", welches sich in Zukunft zu Forschungszwecken im arktischen Eis einfrieren lassen will. Weil sie ein "Driftvehikel" ist, kann sie selbst kein Eis brechen und folgt uns deshalb ein paar Meilen ins Eis rein. (Foto: Michael Haugeneder / SLF)
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Angekommen bei der auserwählten Scholle erkundet die Expeditionsleitung die Umgebung und definiert die verschiedenen Messfelder. Die Geh- und Fahrwege werden mit Fahnen abgesteckt damit wir Forscher nicht versehentlich Dinge zertrampeln oder kontaminieren, die wir später beproben wollen. (Foto: Matthias Jaggi / SLF)
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Vorbereiten und Testen einer Albedo Drone auf der Überfahrt von Tromso ins arktische Eis. (Foto: Matthias Jaggi / SLF)
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Die schweren Gepäckstücke für die Messungen auf dem Eis können per Schiffskran auf die Scholle gehoben werden. Dazu packen wir die Kisten auf sogenannte Nansen Schlitten und befestigen alles mit Spanngurten. (Foto: Ruzica Dadic / SLF)
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Kurz nachdem die ersten Leute auf dem Eis waren - ohrenbetäubendes Schiffshorn. Das bedeutet, dass sich ein Eisbär in unmittelbarer Nähe befindet und alle sofort zurück aufs Schiff müssen. Wissenschaftliches Messequipment hat keine Priorität und muss an Ort und Stelle liegen gelassen werden. (Foto: Coralie Elmaleh)
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Gangway aufs Eis. (Foto: Michael Haugeneder / SLF)
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Erkunden von unserem Messfeld. Für die Messungen der turbulenten Wärmeflüsse brauchen wir den Übergang von einem Schmelztümpel zu Eis. Zudem muss unsere Messvorrichtung so aufgebaut werden, dass der Wind parallel weht. (Foto: Ruzica Dadic / SLF)
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Zusammenbau von den beiden Windmessstationen und dem Gerüst zum Aufspannen von der Leinwand. (Foto: Matthias Jaggi / SLF)
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Fertiges Messsystem bestehend aus Leinwand, Wärmebildkamera geschützt in Zelt und zwei Windmessstationen. (Foto: Michael Haugeneder / SLF)
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"Schneestruktur" bestehend aus der "Surface Scattering Layer" (SSL): Grosse, längliche Eiskristalle die mit dem Schnee, den wir in den Alpen kennen, wenig zu tun haben. Es ist nämlich gar kein richtiger Schnee, sondern schmelzendes Meereis. (Foto: Ruzica Dadic / SLF)
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Messen der optischen Eigenschaften von der obersten Schneeschicht (SSL) mittels einem am SLF entwickelten Messgerätes (SnowImager), was das reflektierte Licht im nahen Infrarot misst. (Foto: Ruzica Dadic / SLF)

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