Gebirgswaldverjüngung (Phase II)
Martina Hobi
Projektmitarbeitende2020 - 2023
FinanzierungVerbesserte Grundlagen zur Beurteilung und gezielteren Beeinflussung der Verjüngung im Gebirgswald

Inhalt
Das Projekt «Gebirgswaldverjüngung» hat das langfristige Ziel, innert ca. 20 Jahren fachliche Grundlagen zu schaffen, damit die Naturverjüngung im Gebirgswald wirksam waldbaulich gefördert werden kann. Unter anderem soll besser abschätzbar werden, wie die Verjüngungsdichte sich langfristig auf die Schutzwirkung gegen Naturgefahren auswirkt. Zudem sollen praxistaugliche Hilfen zur Beurteilung der Naturverjüngung bereitgestellt werden. In den Jahren 2020-2023 werden 10 Versuchsflächen in Fichten-Tannenwäldern fertig eingerichtet, dort waldbauliche Langzeit-Experimente gestartet und aus wiederholten Inventuren von Bestand und Verjüngung Ergebnisse zur Entwicklung der Naturverjüngung gewonnen. Zudem werden begleitende Studien zu Teilprozessen der Verjüngung durchgeführt.
Motivation
Die Waldverjüngung von heute ist der Schlüssel zu den Waldleistungen von morgen. Sie ist zeitlich und räumlich extrem variabel (Stammzahlen von unter 500/ha bis weit über 100‘000/ha) sowie nach Baumgrössen und Baumarten differenziert und daher schwierig anzusprechen und quantitativ zu erfassen. Gefährdungen durch widrige Witterungsereignisse (z.B. Nassschnee, Trockenheit), Pathogene (z.B. Schneeschimmel) und Wildtiere (v.a. Verbiss) sind mannigfaltig und wirken oft über Jahrzehnte. Das erschwert es, die Waldverjüngung zuverlässig zu beurteilen.
In wichtigen Bereichen der Gebirgswaldbewirtschaftung wurden in den vergangenen Jahrzehnten grosse Fortschritte erzielt, zum Beispiel was die Beurteilung der Schutzwirkung von Bestandesstrukturen betrifft. Doch im Bereich der Verjüngung bestehen weiterhin grosse Kenntnislücken. Dies obwohl eine ausreichende, vielfältige Waldverjüngung in der Gebirgswaldpflege sehr oft handlungsbestimmend ist. Es ist z.B. schwierig abzuschätzen, wie sich eine Verjüngung entwickeln wird, wie gross die Mortalität ist und wie viel zusätzliche Ansamung zu erwarten ist.
Projektziele und Fragestellung
Die langfristigen Projektziele (Zeithorizont 2025-2030) sind:
- Fachliche Grundlagen schaffen, damit die Naturverjüngung wirksam waldbaulich gefördert werden kann. Die Verjüngung soll langfristig zu zielkonformen Beständen heranwachsen, die wichtige Waldleistungen liefern (Fokus auf Schutzwald).
- Die Frage klären, wie sich der Klimawandel auf die Entwicklung der Verjüngung auswirkt. In trockenen Sommern könnte z.B. die Mortalität der Verjüngungspflanzen trockenheitsempfindlicher Baumarten erhöht sein, oder es könnte sich zunehmend Naturverjüngung von Baumarten aus tieferen Lagen etablieren.
- Eine „Praxishilfe zur Beurteilung der Naturverjüngung“ bereitstellen. Diese methodische Anleitung soll dazu dienen, Informationen zur Naturverjüngung auf Bestandesebene gewinnen zu können, die aussagekräftig, fachlich fundiert und daher nachvollziehbar sowie robust (reproduzierbar) sind. Eine wichtige Anwendung dieser Informationen ist NaiS (Nachhaltigkeit und Erfolgskontrolle im Schutzwald).
Das Projekt fokussiert auf Tannen-Fichtenwälder. Die Projektergebnisse dürften aber auch für weitere Waldtypen relevant sein.
Für die Schaffung der fachlichen Grundlagen werden ermittelt:
- Die demografische Dynamik (langfristige Entwicklung von Baumpopulationen) der Naturverjüngung in Gebirgswäldern
- Der Einfluss und die relative Bedeutung von Faktoren (Standort, Bestand, Störungen), die für die Naturverjüngung (demografische Entwicklung, Stammzahl, Grössenverteilung, Höhenzuwachs, Baumartenzusammensetzung) wichtig sind.
Zusätzlich sind begleitende Studien zu Teilprozessen geplant, die das mechanistische Verständnis der Verjüngungsprozesse im Gebirgswald verbessern.
Versuchsdesign
Das Studiendesign beruht auf Langzeitbeobachtung von Verjüngungspopulationen auf Standortsgradienten. Dazu wurden gezielt Flächen (Fallstudien) ausgewählt und waldbauliche Versuche angelegt (Manipulation), welche bestehende Kleinstandortsgradienten noch vergrössern. Das Design soll erlauben, die Entwicklung von Verjüngungspopulationen mit einer statistisch aussagekräftigen Anzahl Pflanzen bei unterschiedlichen Umweltbedingungen zu erfassen. Die waldbaulichen Behandlungen vergrössern die lokale Umweltvariabilität und erlauben, Behandlungseffekte auf die Entwicklung der Kleinstandorte (v.a. Vegetation) und der Verjüngung zu prüfen und zu quantifizieren. Um die Behandlungseffekte nachzuweisen, wird der Zustand der Bestände (Bestandesstruktur, Verjüngung) vor den waldbaulichen Eingriffen mittels einer Inventuren erfasst. Jede Versuchsfläche wird danach in drei Teilflächen (TF) aufgeteilt. In einer TF wird nicht eingegriffen (Kontrolle), in einer findet ein schwacher Eingriff (Entnahme von etwa 20% des Holzvorrats) und in einer ein starker Eingriff (Entnahme von etwa 30% des Holzvorrats) statt. In jeder TF werden vier Kleinzäune aufgestellt, um den Einfluss wilder Huftiere auf die Verjüngung nachzuweisen.
Versuchsflächen
Es wurden insgesamt zehn Versuchsflächen (VF) im Schweizer Alpenraum bestimmt (Abbildung 1 und Tabelle 1). Wichtige Kriterien für die Flächenauswahl waren:
- Weitgehende Homogenität innerhalb jeder Versuchsfläche bezüglich Bestandesstruktur, Relief, Exposition und Standortstyp;
- Baumartenzusammensetzung: Gute Vertretung der Fichte und Tanne in der Verjüngung sowie ein Gradient des Tannenanteils im Altbestand;
- Umwelt-/Standortsgradient: Es wurden die wichtigsten Standortstypen in Fichten-Tannen-Wäldern berücksichtigt, mit Unterschieden in der Höhenlage und Exposition. Es wurde bewusst auf Versuchsflächen in den kontinentalen Zentralalpen verzichtet, wo die Tanne nur selten vorkommt.
Zusätzlich wurden berücksichtigt: Einfachheit des Designs, Realisierbarkeit der waldbaulichen Behandlungen (Ausschluss von Beständen, die vor kurzem behandelt worden oder sehr labil sind), Begehbarkeit und Erschliessung, Verbisssituation.
Alle VF sind 1,5 ha gross, werden als ertragskundliche Versuchsflächen eingerichtet (Kluppschwelle: 4 cm) und als langfristige Forschungsflächen vertraglich gesichert.

Tabelle 1: Steckbrief der Versuchsflächen
Gemeinde | Höhenlage (m ü.M.) | Exposition | Standortstyp (wird überprüft) | Tannenanteil (geschätzt, %) |
Albula GR | 1300 | N | 53*Ta | 0 |
Flüelen UR | 1485 | NW | 50 + 57C | 18 |
Lauterbrunnen BE | 1495 | O | 46 | 0/vereinzelt |
Ormont-Dessus VD | 1480 | NW | 50(49) | 30 |
Pfäfers SG | 1530 | W | 51(60*) + 50(50*) | 20 |
Rougemont VD | 1600 | NW | 50 | 2 |
Sagogn GR | 860 | NO | 52F | 10 |
Visp VS | 1120 | N | 55*Ta | 98 |
Wildhaus-Alt St. Johann SG | 1365 | N | 50 | 0/vereinzelt |
Verjüngungsinventur
Die Verjüngungsprozesse werden in rund 75 Probeflächen (PF) pro Versuchsfläche, d.h. 24-25 pro TF (Abbildung 2, links), verfolgt. Eine PF besteht aus drei konzentrischen Kreisringen (Abbildung 2, rechts): 10 m2 für Verjüngungspflanzen der Grössenklasse 1 (1jährig bis 9,9 cm Höhe), 20 m2 für die Grössenklasse 2 (10 cm bis 39,9 cm Höhe) und 50 m2 für die Grössenklasse 3 (40 cm Höhe bis 3,9 cm BHD). Keimlinge werden nicht erfasst.
Die Verjüngungsinventur besteht aus drei Teilen: (1) Erfassung von Probeflächeninformationen und von Kleinstandortsmerkmalen und Verjüngungspräsenz auf 12 Punkten; (2) Erfassung einzelner Individuen, ihres Kleinstandorts und ihrer Entwicklung (Mortalität, Pflanzenhöhe), dazu dient u.a. der 1. Quadrant (Abbildung 3, Abbildung 4); (3) Erfassung der Anzahl der Verjüngungspflanzen auf den konzentrischen Probekreisringen nach Baumart und GK.
Zusätzlich werden an 4 der 12 Punkten die Dicke der organischen Auflage, die Humusform sowie die Lichtverhältnisse mittels einem Solariskop (Ing.-Büro Behling, Hermannsburg, Deutschland) bestimmt.

Die Anleitung zur Verjüngungsinventur wird auf Anfrage zur Verfügung gestellt.


Publikationen
Brang P, Nikolova P, Gordon R, Zürcher S (2017) Auswirkungen grosser Verjüngungslücken im Gebirgswald auf Verjüngungs und Holzzuwachs. Schlussbericht des Projektes Eingriffstärke und Holzzuwachs im Gebirgswald. Birmensdorf, Eidgenössische Forschungsanstalt WSL. 48 p.
Kalt T, Nikolova P, Ginzler C, Bebi P, Edelkraut K, Brang P (2021) Kurzes Zeitfenster für die Fichtennaturverjüngung in Gebirgsnadelwäldern. SZF (in print)
Zaugg A, Lässig A, Nikolova P, Brang P. 2020. Projekt Gebirgswaldverjüngung: Dokumentation der Flächenauswahl. Interner Bericht. Birmensdorf, Eidg. Forschungsanstalt WSL, 9 S. + Anhang.
Weitere Kooperationen
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