Vom «eroberten Land» zum Renaturierungsprojekt

Projektleitung

Matthias Bürgi

Projektdauer

2016 - 2025

Geschichte der Feuchtgebiete in der Schweiz seit 1700

Feuchtgebiete bieten Lebensraum für eine Vielzahl von spezialisierten Tier- und Pflanzenarten und wirken als Puffer in regionalen hydrologischen und klimatischen Systemen. Werden diese Ökosysteme jedoch gestört oder gar zerstört, verlieren Arten ihre Lebensraum und der gebundene Kohlenstoff wird in kurzer Zeit freigesetzt.
Genau dies ist in der Schweiz im 19. und 20. Jahrhundert grossflächig passiert, indem viele Feuchtgebiete zerstört, beziehungsweise abgetorft und/oder durch Entwässerungen in landwirtschaftliche Anbauflächen umgewandelt wurden. Die Ausweitung der landwirtschaftlichen Nutzfläche auf Kosten von Feuchtgebieten ist in Mitteleuropa generell eine der wichtigsten Landnutzungsveränderungen. Ausgelöst wurde diese Entwicklung durch die wachsende Nachfrage nach Nahrungsmitteln und verbesserte Drainagetechniken.

In einem durch die Bristol-Stiftung finanzierten Projekt untersuchen wir die Geschichte der Feuchtgebiete in der Schweiz und ihre ökologische Bedeutung aus verschiedenen Blickwinkeln.

Die historische Perspektive umfasst drei Teile: Im ersten Teil beleuchten wir, wie die Feuchtgebiete in der Agrargesellschaft und mit der aufkommenden ökonomischen Aufklärung angesehen werden. Feuchtgebiete werden in dieser Zeit für die Landwirtschaft zunehmend als potentiell interessante Flächen wahrgenommen und von verschiedenen Seiten wird dazu aufgerufen Feuchtgebiete trockenzulegen und zu kultivieren. Im zweiten Teil geht es um die Zeit von 1850 bis 1950, in der ein grosser Teil der Feuchtgebiete verschwand. Die grossflächigen Meliorationen mit gewichtigen Flusskorrektionen (wie zum Beispiel die erste Juragewässerkorrektion) werden durch technologische und wirtschaftliche Fortschritte ermöglicht. Viele Feuchtgebiete werden in dieser Zeit mit industriell hergestellten Drainageröhren trocken gelegt, was staatlich gefördert wird, besonders im 2. Weltkrieg. Im dritten Teil wird die Zeit nach 1950 behandelt, als es weniger Meliorationen und Flusskorrektionen gibt und Moore zunehmend geschützt werden. Mit der Annahme der Rothenthurm-Initiative werden viele Moore unter Naturschutz gestellt.

Parallel dazu rekonstruieren wir die räumliche Entwicklung der Feuchtgebiete für die Zeitperiode von 1850 bis 2010. Dabei wurden aus den Feuchtgebietsflächen, die von topografischen Karten digitalisiert wurden, Verlustraten berechnet. Mit diesen Verlustraten wurde schrittweise vom aktuellsten zum nächst älteren Zeitschnitt die in den älteren Karten «fehlende» Fläche berechnet («fehlend», weil in den älteren Karten strengere Kartierungsdefinitionen galten). Um die «fehlende» Fläche geografisch zu platzieren, wurden die für Feuchtgebiete wahrscheinlichsten Standorte modelliert. Mit dieser Rekonstruktionsmethode wurde berechnet, dass von 1850 bis 2010 etwa 92 % bis 94 % der Feuchtgebiete in der Schweiz verschwunden sind.

Schliesslich beleuchten wir mit Hilfe diverser Expertinnen und Experten die ökologischen Folgen dieser Entwicklung für Flora und Fauna (Amphibien, Vögel, Wirbellose) und wir diskutieren, was die aufgezeigten Veränderungen für die Kohlenstoffvorräte und Treibhausgasemissionen aus Moorböden bedeuten.

Die Resultate werden 2018 in der Bristol-Schriftenreihe im Haupt-Verlag erscheinen.

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Blick auf die hauptsächlich als feuchtes Allmendland genutzte Ebene des Haslitals mit der mäandrierenden Aare. Feder und Aquarell von J.L. Aberli, 1769, Schweizerische Nationalbibliothek, Sammlung Gugelmann.
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Blick von Muri aareaufwärts auf das Belpmoos, das als Weideland und auf Lische genutzt wurde. Feder und Aquarell von J.L. Aberli (1723–1786), Schweizerische Nationalbibliothek, Sammlung Gugelmann.
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Torfverkäufer. Seit dem 18. Jahrhundert begann man in der Schweiz systematisch Torf abzubauen.
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Die Flusslandschaft der Linthebene vor der Korrektion. Aquarell von J.J. Bidermann (1787), Bernisches Historisches Museum, Bern. Inv.H/ 59200.Foto: Yvonne Hurni.
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Die Flusslandschaft der Linthebene vor der Korrektion. Ansicht der Linthbrücke von Hans Conrad Escher. Feder und Aquarell, 1798, Graphische Sammlung ETH Zürich.
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In der «Industriegesellschaft» behielten die Feuchtgebiete zunächst ihre grosse Bedeutung für die naturale Ökonomie. Foto: 1918, Tristen von Moosheu, Gampelen/Ins, Staatsarchiv des Kantons Bern, BB 04.4.69.
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Typen der Drainage aus dem Lehrbuch. Aus: A.J. Naville: De l’assainissement des terres ou drainage. Genève 1845
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Den umfassenden Meliorationen gingen grosse Flusskorrektionen voraus, hier der Bau des Rhonedammes bei Raron. Raphael Ritz (1829–1894), Rhonekorrektion in der Umgebung von Raron, 1888 © Kunstmuseum Wallis, Sitten. Bild Michel Martinez.
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Maulwürfe, geführt von Mäusen, erklären den Fröschen den Krieg, die auf den Knien um Gnade bitten – eine Karikatur als frühes Zeugnis der Kritik an der Trockenlegung von Feuchtgebieten. Karikatur von Léo-Paul Robert zur Juragewässerkorrektion 1867/69, Stiftung Sammlung Robert (Biel).
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Melioration der Drachenried-Ebene in der Gemeinde Ennetmoos (Kanton Nidwalden) während des Zweiten Weltkriegs. Foto: 1942, Staatsarchiv des Kantons Bern, BB 04.4.4.2512.
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«Ersoffener Buldogg», Melioration Drachenried. Foto: L. v. Matt, ETH-Bibliothek, Bildarchiv, Dia_247-F-00939.
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Torfabbau im Inser Moos während des Zweiten Weltkriegs: Ein Arbeiter stapelt die exakt gestochenen Turben auf eine «Turbebäre» (Schubkarre), um diese anschliessend zum Trocknungsplatz zu schieben. Foto: ca 1943, Staatsarchiv des Kantons Bern, FN Fotograf B N 57.
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Die Entdeckung der Ästhetik von Feuchtgebieten: Hochmoor im Gyrensprung (Kanton Bern). Foto: W. Lüdi, 1951, ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv, Dia_282-7462 / CC BY-SA 4.0.
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Inmitten der trocken gelegten Linthebene umfasst das Schutzgebiet Kaltbrunner Riet (Kanton St. Gallen) heute eine Fläche von rund fünfzig Hektaren. Der nötige Wasserstand wird durch Einstau mittels eingebauter Schieber erreicht. Foto: K. Robin 2010, Robin Habitat AG.
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Das Team der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW bei einem Pflegetag im Kaltbrunner Riet (Kanton St. Gallen).
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Um die weitere Entwässerung des Hochmoors zu verhindern bzw. die Wiedervernässung zu ermöglichen, wird eine Spundwand aus Hart-PVC eingebaut. Foto: 2015, Naturschutzgebiet Schalenberg (Gemeinde Rüschegg, Kanton Bern).