Jahrring-Forschung ist mehr als Baumringe zählen

Die Dendrochronologie (griech.: Dendron = Baum, Chronos = Zeit, Logos = Kunde) untersucht Jahrringmuster, um Aussagen über zurückliegende Ereignisse wie Steinschlag, Feuer oder Lawinen, sowie über vergangene Klimaverhältnisse zu erlangen. Dabei geht es um viel mehr, als Baumringe zu zählen.

Jahrringe speichern Umwelt-Ereignisse

Bäume reagieren auf ihre Umwelt und spiegeln deren Einflüsse in ihrem Wachstum wieder. Ausserhalb der Tropen wird der jährliche Stammzuwachs von Pflanzen als Jahrring bezeichnet. Breite und Holzdichte der Jahrringe variieren je nach Alter und Wachstumsbedingungen. Anhand der Breite der Jahrringe lassen sich zum Beispiel Einflüsse des Klimas nachvollziehen.

Zudem kann das Baumwachstum durch Insektenbefall, Feuer, Steinschlag, Wind, Lawinen oder Wildverbiss beeinflusst werden. Zusätzlicher Lichteinfall kann zu einem grösseren Ringzuwachs führen.

Auf der Suche nach Holz

Die Jahrring-Forschung – oder Dendrochronologie – führt die Forschenden der WSL weit über die Grenzen der Schweiz hinaus, um rund um die Welt Bäume und deren Wachstum zu untersuchen.

Klimarekonstruktionen anhand von Jahrringen sind an der WSL von zentraler Bedeutung. Dazu sammeln Forschende Holzproben an Standorten, wo das Wachstum primär durch einen Klimafaktor begrenzt wird. So ist an der alpinen Waldgrenze und in hohen Breiten die Temperatur der limitierende Faktor für das Baumwachstum. In trockenen Gebieten steuert der Niederschlag das Wachstum.

Die Suche nach Proben führt die WSL-Forschenden beispielsweise in die sibirische Tundra, ins marokkanische Atlasgebirge und an die obere Waldgrenze in den spanischen Pyrenäen.

Beprobung verschiedenster Hölzer

Jahrring-Forschende interessieren sich nicht nur für lebende Bäume. Sie nutzen viele weitere Quellen, um geeignetes Material für ihre Arbeit zu sammeln. So untersuchen sie zum Beispiel verbautes historisches Holz sowie subfossile Proben, die seit Jahrtausenden im Lehm, in Mooren oder in Seen konserviert wurden. Entnommen werden entweder Kerne mit speziellen Zuwachsbohrern oder ganze Scheiben mit der Motorsäge.

Untersuchungen im Labor

Die Oberfläche jeder Probe wird zuerst geschliffen oder geschnitten. Danach wird die Breite der einzelnen Jahrringe mit Hilfe eines Binokulars gemessen. Daraus resultiert eine Kurve, die das Alter des Baumes und dessen Wachstum über die Zeit darstellt. Diese Messkurve bildet die Grundlage für die Datierung.

Crossdating: das Puzzle zusammensetzen

Mit Jahrringkurven von Bäumen, die vor langer Zeit gewachsen und deren Stämme zum Beispiel in Häusern verbaut oder in Mooren eingeschlossen sind, können Forschende Rückschlüsse über Umweltverhältnisse der letzten Jahrtausende ziehen.

Dafür suchen sie nach gleichen Wachstumsmustern in Jahrringen aus verschiedenen Holzproben. Die einzelnen Jahrringmuster werden gegeneinander abgeglichen (crossdating). Durch die Zusammensetzung dieser Jahrringserien mit gleichem Muster entsteht eine Jahrringchronologie.

Mit solchen Jahrringchronologien als Referenz können historische Baumproben datiert werden.

Jahrringbreite und -dichte

Zu Beginn der Vegetationsperiode bilden Nadelbäume Frühholzzellen, zum Ende dickwandigere und kleinere Spätholzzellen. Das Verhältnis von Früh- und Spätholz gibt Aufschluss über die Wachstumsbedingungen. Die Analyse der maximalen Spätholzdichte ermöglicht präzise Aussagen über frühere Temperaturverhältnisse.

Jahrringbreite und maximale Spätholzdichte stellen als indirektes Thermometer eine wichtige Datengrundlage in der internationalen Klima- und Umweltforschung dar. Beide Parameter werden an der WSL seit den 1970-er Jahren gemessen.

Holzanatomie

Die Ausprägung holzanatomischer Merkmale wird durch Umweltbedingungen gesteuert. So führen Veränderungen der Licht-, Temperatur-, oder Niederschlagsverhältnisse zu Variationen der Zellgrösse und Zellwandstärke. Ausserdem hinterlassen plötzliche Ereignisse wie Lawinen, Murgänge oder Rutschungen sichtbare Spuren.

Mit der mikroskopischen Analyse hauchdünner Holzschnitte werden diese Einflüsse meistens jahreszeitengenau datiert. Die Ursache einer Verletzung kann jedoch nicht immer zuverlässig identifiziert werden.

Bild links: In dieser Stammscheibe einer Kastanie ist eine überwachsene Verletzung erkennbar. Mit einer 40-fachen Vergrösserung kann das Einsetzen des Wundgewebes auf den Beginn des Jahrringes datiert werden, das heisst, auf den Frühling. Da die Probe aus einer Brandfläche stammt, handelt es sich sehr wahrscheinlich um eine Feuerwunde. In einem anderen Kontext hätte auch Steinschlag eine solche Wunde verursachen können.

Isotopenverhältnisse

Leichte und schwere Atome, sogenannte stabile Isotope der chemischen Elemente Kohlenstoff (C) und Sauerstoff (O), können in Jahrringen gemessen werden.

Ihre jahrgenau datierte Zusammensetzung gibt zum Beispiel Auskunft darüber, wie Bäume unter variierenden Umweltbedingungen in der Vergangenheit die Aufnahme von CO2 und die Wasserverdunstung (Transpiration) über die Spaltöffnungen ihrer Blätter und Nadeln reguliert haben.

Das instabile Isotop 14C hingegen ermöglicht die Datierung von historischen, archäologischen und subfossilen Hölzern.

Siehe auch: Isotopenlabor der WSL

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