Die Umwelt aus der Ferne beobachten

18.4.2023 | Interview: Beate Kittl | News WSL 

Mittels Fernerkundung lässt sich die Erdoberfläche in immer höherer Auflösung vermessen und auch der Zustand und die Entwicklung von Ökosystemen bestimmen. Was der Stand der Technik ist und wie sie Forschung und Praxis beeinflusst, ist das Thema des WSL-Forums für Wissen am Donnerstag, 20. April 2023. Tagungsleiter Christian Ginzler, Leiter der Forschungsgruppe Fernerkundung, erläutert, warum das Thema gerade jetzt wichtig ist.

Christian Ginzler, was ist eigentlich Fernerkundung?

Ganz allgemein geht es um eine Informationsgewinnung ohne direkten physischen Kontakt. Die Information können normale Fotos sein oder aus Messungen etwa von Temperatur oder Farbintensität stammen. Als Plattformen dienen Satelliten, Flugzeuge, Drohnen oder auch Stative. Vor allem Drohnen haben in den letzten zehn Jahren enorme Fortschritte gemacht. Dies hat zu einer Form von «demokratisierter» Fernerkundung beigetragen. Ich kann nun selbst mit unterschiedlichen Sensoren über meine Untersuchungsgebiete fliegen und Daten erheben.

Was ist der Anlass für diesen Austausch von Forschung und Praxis?

In den letzten 15 Jahren gab es meiner Meinung nach drei wichtige Entwicklungen. Das eine ist der freie Zugang zu Daten wie Satellitendaten. Früher waren diese schwer erhältlich und teuer. Bis eben vor etwa 15 Jahren die US-Raumfahrtbehörde NASA die Daten ihrer zivilen Erdbeobachtungssatelliten Landsat freigab. Das hat einen regelrechten Boom von Forschung, Methoden und Anwendungen ausgelöst, die auf diesen Daten aufgebaut haben. Und andere Länder zogen nach: Die Satellitendaten des europäischen Copernicus-Erdbeobachtungsprogramms sind seit 2013 frei verfügbar, die digitalen Geodaten und Luftaufnahmen der Schweizer Landestopografie Swisstopo seit 2021.

Welche anderen Entwicklungen trugen zum Boom bei?

Einmal, dass ich viele Daten gar nicht mehr auf meinem Computer holen muss: Heute gibt es Cloud Computing und Cloud Data Storage. Da stehen riesige Datenmengen auf Servern zur Verfügung, die ich gar nicht alle herunterladen könnte. Das sind öffentliche Daten wie die von Copernicus und ich kann diese Daten auch mit privaten Daten kombinieren. Ich speise mein Rechenmodell auf diesen Servern ein und ich bekomme sehr rasch die Ergebnisse.

Und der dritte Fortschritt?

Das ist die Entwicklung der Methoden selbst. Bei der Analyse von Bilddaten und Daten im Allgemeinen sind das maschinelle Lernen und die Künstliche Intelligenz (KI) hinzugekommen. Mit ihrer Hilfe komme ich zu Ergebnissen, die ich vor 15 Jahren entweder sehr viel aufwendiger oder gar nicht bekommen hätte.

Wozu können die neuen Möglichkeiten dienen?

Heute vor allem, wenn man den Zustand der Vegetation oder die Bodenbedeckung, die -nutzung beschreiben oder erkennen möchte. Am Forum für Wissen wird es Beispiele zum Waldzustand geben, zur Unterstützung bei der Interpretation von Bodennutzungen, aber auch zur Charakterisierung möglicher Lebensräume für bestimmte Tierarten. Konkret: welche Strukturen im Wald der Grauspecht bevorzugt. Dabei kommen vor allem Lidar-Daten zum Einsatz.

Lidar bildet dreidimensionale Strukturen ab, nicht wahr?

Genau. Bei Lidar wird ein Lichtstrahl ausgesendet, der von einem Objekt reflektiert wird, und dann die Zeit gemessen, bis der reflektierte Lichtstrahl wieder zurückkommt. Zusammen mit den Abstrahlungswinkeln und der Position des Sensors kann ich die Position des Objekts bestimmen und bekomme eine 3D-Punktwolke, die mir ein ungefähres Abbild von ihm macht.

Zum Beispiel von Strukturen in einem Wald.

Ja, unter anderem. Bei der Lebensraumkartierung wiederum unterscheiden wir beispielsweise Grasland, Feuchtgebiete, Gebüsch oder Zwergsträucher.

Wie geht das?

Dazu kombinieren wir 3D- und 2D-Daten wie LiDAR, Satellitenbilder und Luftbilder.  Die Daten der letzteren sind mittlerweile extrem hoch präzise: Die Auflösung dieser Bilder verdoppelte sich alle fünf Jahre – bei Satelliten sind wir mittlerweile bei 30 Zentimetern, und mit Drohnen bei fünf Millimetern und weniger. Wir würden auf dem WSL-Gelände jeden Zigarettenstummel finden, wenn es welche gäbe.

Was könnt ihr über den Zustand der abgebildeten Lebensräume aussagen?

An der Tagung wird ein Projekt vorgestellt, das mit Drohnen den Stress von Bäumen nachwies. Und als sich der Wald 2018 wegen Trockenheit vorzeitig verfärbte, haben WSL-Forschende bestimmt, wie stark die Blätter braun wurden, und konnten so etwas über den Zustand der Vegetation aussagen. Weiter würden sich Förster und Waldbesitzer wünschen, Borkenkäfer-Befall zu entdecken, bevor die Bäume sterben. Aber das ist sehr herausfordernd.

Kann Fernerkundung bei Naturgefahren-Prävention helfen?

Da gehen die Entwicklungen in zwei Richtungen. Das eine ist die Oberflächenmessung von Schnee. Weil wir die Geländeoberfläche auch ohne Schnee kennen, können wir mit Aufnahmen im Winter sehr detailliert die Mächtigkeit der Schneedecke bestimmen. Das dient beispielsweise als Planungsgrundlage für den Lawinen- und Verwehungs-Verbau. Zum anderen nutzt man immer mehr Sensoren, allen voran Radar, mit dem man gut Bodenbewegungen überwachen und aufnehmen kann. Die Kombination von optischen- und Radar-Fernerkundungssystemen hat ein grosses Potential, das Sicherheitsniveau im Alpenraum zu erhöhen.

Was ist die Zukunft in der Fernerkundung?

Ich glaube, wir werden in Zukunft mehr von diesen dreidimensionalen Punktwolken sehen und diese unter anderem in Waldinventuren einsetzen. Swisstopo hat angekündigt, alle sechs Jahre ein gesamtes 3D-Bild der Schweiz zu machen. Das ist für die WSL mit ihren zahlreichen Monitoringprojekten extrem interessant. Weiterhin wird sehr viel mit maschinellem Lernen passieren, also dass ich mein Modell darauf trainieren kann, wie Strukturen dreidimensional aussehen sollen, und es diese dann in den Fernerkundungsdaten aufspüren lasse.


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