Halbzeit: 1:0 für den Lärchenwickler

Fast 40 Jahre nach dem letzten grossen Befall der Lärchen im Oberengadin findet dieses Jahr wieder eine Massenvermehrung der Raupen des Grauen Lärchenwicklers statt. Die Kronen verfärben sich rotbraun, die Bäume wirken krank. Doch dies ist keine biologische Katastrophe, sondern ein faszinierender ökologischer Wettlauf.

In regelmässigen Abständen kommt es zur explosiven Vermehrung dieses kleinen Nachtfalters in den inneralpinen Tälern quer über die ganzen Alpen. Seine Raupen fressen dann jeweils so stark an den Lärchen, dass sich im Frühsommer an den Talhängen ganze Wälder rotbraun verfärben – wie es derzeit im Engadin und im Wallis zu beobachten ist. Da die Lärchen nach dem Verpuppen der Raupen nochmals austreiben, werden ihre Kronen im gleichen Sommer wieder grün und können die Ausfälle teilweise kompensieren. Weniger als ein Prozent der Bäume sterben ab.

Der Wettstreit zwischen Lärche (Larix decidua) und Lärchenwickler (Zeiraphera griseana) ist eines der berühmtesten Beispiele für das zyklische Auf und Ab einer Tierart. Ein neues WSL-Merkblatt beschreibt detailliert die Geschehnisse: Ungefähr alle 9 Jahre wächst innerhalb weniger Jahre die Zahl der Lärchenwickler-Raupen um das 30‘000-fache. Sie fressen an den Nadelbüscheln, die daraufhin verdorren. Die Massenvermehrungen sind auf Gebiete zwischen 1700–2000 Metern über Meer beschränkt.

Doch dann kommt die Wende: Die enorme Menge an Raupen ist ein Paradies für parasitische Schlupfwespen, also Wespen, die ihre Eier in andere Insekten legen. Das kann zwar einen Ausbruch nicht verhindern, verursacht aber nach wenigen Jahren eine extrem hohe Parasitierung der Raupen und führt damit zum abrupten Zusammenbruch der Lärchenwickler-Populationen.

99,98 Prozent Sterblichkeit

Eine weitere Wechselwirkung besteht zwischen der Lärche und den Raupen. Die Lärchen treiben zwar nochmal aus, wenn die Insekten Ende Juni alle Nadeln zerstören. In den folgenden zwei bis drei Jahren erscheinen die Nadeln im Frühjahr jedoch später und sind von schlechterer Qualität. Als Folge sterben viele Raupen ab – einige, weil sie vor dem Nadelaustrieb geschlüpft sind, andere aufgrund der dürftigen Nahrungsgrundlage. Hunger, Konkurrenz und Parasiten lassen die Raupensterblichkeit auf 99,98 Prozent schnellen.
Aus den schlecht genährten Raupen entwickeln sich Falter, die weniger Eier produzieren. Wenn sich die Nadelqualität wieder erholt hat und die Schlupfwespen mangels Wirtsraupen dezimiert sind, kann sich die Lärchenwickler-Population langsam wieder aufbauen.

In den Jahren der Massenvermehrungen wachsen die Lärchen weniger, was sich in der Jahrringbreite im Lärchenstamm niederschlägt. Wissenschaftler konnten so diese zyklischen Populationsbewegungen 1200 Jahre zurückverfolgen. In den letzten drei  Zyklen (1989, 1999, 2008) blieben die maximalen Raupenmengen weit unter früheren Werten. Die Gründe sind unklar, doch es dürfte einen Zusammenhang mit den ansteigenden Temperaturen der letzten Jahrzehnte geben. So könnte sich die Synchronisation zwischen dem Nadelaustrieb und dem Schlüpfen der Raupen im Frühling verschlechtert haben.

Nach 36 Jahren, also vier neunjährigen Zyklen, in denen der regelmässige Befall kaum sichtbar war, tritt dieses spektakuläre Phänomen jetzt sowohl im Wallis als auch im Engadin wieder auf. Dies ist ein normales ökologisches Ereignis in der Dynamik der Lärchenwälder, von dem nach dem Zweitaustrieb der Lärchen im August nichts mehr zu sehen sein wird.

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