27.06.2023 | Jochen Bettzieche | News SLF
Biodiversität am Jakobshorn – SLF-Biologinnen und Biologen untersuchen das Wechselspiel von Pflanzen und ihren Feinden.
Anne Kempel pflückt ein Kleeblatt und zeigt auf kleine Löcher: «Hier, das war ein Insekt.» Gleich darauf hält sie ein weiteres Blatt in der Hand, rostbraun verfärbt: «Und hier, ein Rostpilz, ist der nicht hübsch?» Auch für Gänge von Fliegenlarven in Blättern begeistert sich die Biologin aus der Forschungsgruppe Gebirgsökosysteme am SLF.
Sie sitzt in einer Blumenwiese oberhalb der Clavadeleralp an den Hängen des Jakobshorns. Für das grandiose Bergpanorama hat sie kaum Zeit. Stattdessen beugt sie sich mit der Lupe in der Hand über einen Metallrahmen und bestimmt Blumen und Gräser. Mit blauen und gelben Stäben in den Gemeindefarben hat sie ihr Versuchsfeld abgesteckt. Das Thema Biodiversität treibt derzeit viele um. Hier ist diese besonders ausgeprägt. «Wir wollen verstehen, wie diese Wiese funktioniert und wie sie sich im Klimawandel verändern wird», sagt die Biologin.
Gäbe es nur Pflanzen, müsste sich langfristig eine Art durchsetzen. Aber dem ist nicht so, das zeigt schon ein Blick auf ihre Parzelle. Blüten leuchten in verschiedenen Farben, gelbe Butterblumen, blauer Enzian, hellblaue Vergissmeinnicht und vieles mehr bilden eine bunte Frühlings-Bergwiese. Dass keine Art dominiert, liegt an ihren Feinden: Insekten, Schnecken und Pilzen. Diese sorgen für einen ausgewogenen Pflanzen-Mix am Hang. «Bislang hat aber noch niemand detailliert untersucht, wie wichtig diese drei für Biodiversität und Ökosysteme sind», beschreibt Kempel die Motivation für ihre Forschung. Eingebettet ist ihre Arbeit in das internationale Bug-Network, zu Deutsch Insektennetzwerk. Auf 40 Flächen von Skandinavien über Griechenland bis Südamerika und Neuseeland gehen Forschende der gleichen Frage nach. Diese Areale sind überall gleich, unterteilt in 24 Parzellen à 25 Quadratmeter. Mal ohne Insekten, mal ohne Schnecken, mal ohne Pilze, jeweils Kombinationen davon sowie Kontrollflächen, auf denen alle drei Arten ungestört vorhanden sind.
So wollen die Forschenden zahlreiche Details untersuchen und Erkenntnisse gewinnen, die global gültig sind. «Wenn wir alle Feinde ausschliessen, nehmen dann manche Pflanzenarten überhand, und die Biodiversität geht zurück?», nennt Kempel ein Beispiel.
In Davos betreibt sie drei Versuchsfelder, am Jakobshorn, oberhalb der Clavadeleralp und im Tal. So erforscht sie auch, wie sich lokale Temperaturunterschiede auswirken. «Mit speziellen Erwärmungskammern wollen wir darüber hinaus analysieren, wie sich unsere Bergwiesen verändern, wenn die Temperaturen im Rahmen des Klimawandels steigen», sagt Kempel.
Fünf Jahre wird es mindestens dauern, bis endgültige Ergebnisse vorliegen. Bis dahin wird sie immer wieder auf die Areale ziehen. Im Frühsommer, um die Wiese zu mähen. Ab dem Frühjahr, sobald der Schnee geschmolzen ist, einmal pro Monat, um Schnecken, Insekten und Pilze von den entsprechenden Parzellen zu entfernen und einmal pro Jahr für die Analyse. Dann zählen und bestimmen die Forschenden Pflanzen und Tiere. Um keins der vorhandenen Tiere zu übersehen, verwenden sie eine spezielle Methode, erläutert Kempel: «Wir gehen mit dem Staubsauger über die Wiese und sammeln damit alle Insekten ein.»
Dieser Artikel erschien zuerst am 27. Juni 2023 in der Davoser Zeitung.
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