Nervenkitzel bei den letzten Arbeiten

Wegen des nahenden antarktischen Winters wird die Station nun nach und nach geschlossen. Da wird schon mal ein Probenlager zum Fahrzeugdepot umfunktioniert, und Matthias muss sich einen neuen Platz suchen, um seine Experimente zu Ende zu bringen. Er arbeitet unter Hochdruck, denn seine Abreise steht kurz bevor.

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Auf Dome C wird es ruhiger, da nach und nach alle abreisen. Am 31. Januar werden 18 Personen verabschiedet, die auf der australischen Station Casey einen Zwischenstop einlegen werden.
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Am Ende des Eisbohrkernarchivs gibt es noch wenige Quadratmeter, wohin ich mein Experiment verlegt habe, um noch ein paar Tage Zeit dazu zu gewinnen.
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Der Ort, wo meine Boxen vorher standen, wurde zum Fahrzeugpark umfunktioniert.
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Beim Interview hat selbst die Absperrung nicht gefehlt.
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Der angehende Direktor des französischen Polarforschungsinstituts IPEV gibt ein Interview für das EU-Parlament.
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Die faszinierenden Kristalle des Oberflächenreifs sehen aus wie Miniaturtannen. Der Wind fegt sie zwar immer wieder weg, sie entstehen innerhalb eines Tages wieder.
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Ein Pistenbully räumt Schnee vom Gelände weg. Hätte es ein Paar Ski hier gehabt, hätte ich sicher zwei, drei Schwünge gezogen.
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Aus den Schneeblöcken werden Proben für den Computertomografen entnommen. Entlang der Höhe nehme ich alle 3 cm eine Probe für die Bestimmung der Isotope. Nach zwei Blöcken musste ich mich aufwärmen gehen.
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Festlegen der Profilwand mit der Säge für das letzte Schneeprofil. Durch das Sägen entsteht eine saubere Profilwand.
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Beim Schaufeln des letzten Schneeprofils hatte ich tatkräftige Unterstützung.
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Mit dem Messer schneide ich die Folie auf, um die Schneeblöcke zu beproben.
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Die Temperaturen werden kontinuierlich kälter. Gestern hat das Thermometer minus 46 °C angezeigt und die gefühlte Temperatur war bei minus 56 °C. Brrr, das ist ganz schön kalt. Ich bin froh, dass meine Feldarbeit beendet ist. Mit den fallenden Temperaturen kommt auch das Ende der Sommersaison näher. Aktuell ist die Station nicht mehr im Modus «Betrieb», sondern «Einwintern». Es ist irgendwie hektischer geworden.

Auf der einen Seite sind da die Forscher, die jede wertvolle Minute noch für Experimente und letzte Optimierungen von Messinstrumenten ausreizen wollen. Auf der anderen Seite ist da die Mannschaft des Betriebs, die die verbleibenden halbwarmen Tage noch nutzen will, um die Station dicht zu machen. Einige Aussenzelte, Werkstätten und die Fahrzeugflotte müssen eingewintert werden. Dazu kommt das Entladen der gestern angekommenen zweiten Traverse, welche nochmals zig Kubikmeter Sprit und Nahrungsmittel gebracht hat. Alle müssen anpacken. Es ähnelt einem Ameisenhaufen. Einige sind gereizt, einige bereits mit den Gedanken auf der Heimreise.

Allzeit bereit zur Abreise

Auch dem Stationsleiter sitzt der Winterbeginn regelrecht im Nacken. Der letzte Eintrag auf seiner Pendenzenliste ist wohl noch «Leute loswerden». Denn eine Schlechtwetterprognose gegen Ende der Saison und ausfallende Flüge können zum echten Problem werden, und niemand will hier unfreiwillig überwintern. Deshalb werden zurzeit alle Schönwetterfenster genutzt, um die Leute an die Küste zu bringen. Das bedeutet aber auch, allzeit bereit für die Abreise zu sein. Es ist zum Running Gag geworden, zu fragen: «Und wann fliegst du?». Denn die Flugpläne ändern mindestens zweimal täglich.

Zeitsprung zurück: Zu meinem Erstaunen wurde die unterirdische Eishöhle, in der die Boxen für mein Experiment stehen, anfangs letzter Woche bereits zum Fahrzeugdepot umfunktioniert. Deshalb musste ich mein Experiment zügeln. Der einzige Ort, wo es konstant noch genügend kalt ist, war die Verlängerung der Höhle, die zugleich das Eisbohrkernarchiv ist. Gestapelte Styroporkisten bilden einen schmalen langen Gang weiter in den Untergrund hinein. Am Ende des Gangs waren noch wenige Quadratmeter Platz – eng, dunkel und kalt. So konnte ich aber nochmals einige Tage für mein Experiment gewinnen, bevor ich dann die Schneeblöcke beproben musste. Mit leichtem Lampenfieber habe ich am letztmöglichen Tag das Messer angesetzt – jetzt einfach nicht verpatzen und das ganze Experiment in den Sand setzen. Soweit ich das beurteilen kann, hat aber alles ganz ordentlich geklappt.

Zur Vervollständigung des Experimentes gehörte auch ein weiteres Schneeprofil dazu. Um die Änderung der Mikrostruktur und der Isotopenverteilung zwischen den Schneeblöcken und den Profilen draussen vergleichen zu können, war das letzte Profil örtlich sehr nahe am ersten. Mit diesem Vorgehen versucht man den Einfluss der örtlichen Variabilität der Schneedecke zu minimieren. Bei der Auswertung trifft man nämlich die Annahme, dass das erste und das letzte Profil dieselben Anfangsbedingungen hatten, also gleiche Mikrostruktur und gleiche Isotopenverteilung. Würde man diese Annahme nicht treffen, so wäre auch nicht klar, welche Unterschiede nun aufgrund des Ortes und welche aufgrund der Temperaturänderungen passiert sind.

Nervenkitzel bei den letzten Arbeiten

Das Vergiessen aller Schneeproben und das Verpacken der Isotopenproben vom Profil und den vier Schneeblöcken hat dann bis weit in die Nacht hinein gedauert. Ich musste diese Arbeit aber abschliessen, ansonsten hätte ich nicht alles rechtzeitig auf die zurückfahrende Traverse verladen können. Ein bisschen Nervenkitzel ist ja schliesslich nicht verboten. Die Kisten mit den Schneeproben sind für den Transport Antarktis – Schweiz mit Temperaturloggern ausgerüstet. Die versprochene Temperatur auf dem Transport ist -20°C. Sollten die Kisten trotzdem einmal irgendwo an einem Umschlagplatz vergessen gehen und für ein paar Stunden an der Sonne stehen, so können wir das anhand der Temperaturaufzeichnungen feststellen. Dann müssen wir uns zumindest nicht den Kopf über merkwürdige Schneestrukturen zerbrechen, mit denen wir nicht gerechnet haben.

In den vergangen zwei Wochen wurde auf der Station rege Publicity betrieben. Zum Beispiel fand ein Interview zwischen dem EU Parlament und dem angehenden Direktor des französischen Polarforschungsinstituts IPEV statt. Warm eingepackt und im Abendlicht hatte er sich vor den beiden Türmen platziert und stand Rede und Antwort. Die absichtlichen Kameraschwenker in die Weite haben bei den Politikern bestimmt den emotionalen Wert für polare Regionen gesteigert und erleichtern hoffentlich in Zukunft weitere Projektfinanzierungen. Zudem fanden mehrere Skype Konferenzen mit italienischen Schulklassen statt, in denen nicht der angehende Direktor, sondern der Arzt im Chirurgengewand, der Koch und ein paar zerzauste Forscher auf die Fragen antworteten.

Nun ist meine Arbeit hier beendet. Am 1. Februar trete ich die Rückreise an, die mich zunächst zur Dumont d’Urville-Station an der antarktischen Küste führen wird.

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