Riesenheuschrecken im Tessin

Der Klimawandel macht’s möglich: Heuschreckenarten aus dem Mittelmeerraum breiten sich bis ins Tessin aus. So beobachtet der pensionierte WSL-Biologe Peter Duelli im Tessin immer häufiger die Ägyptische Wanderheuschrecke. Im Gegensatz zu verwandten Arten tritt diese nur einzeln und nicht in Schwärmen auf. Duelli erwartet darum auch keine grossen Schäden an landwirtschaftlichen Kulturen.

Im den vergangenen Wintern sind wohl einigen Bewohnern der südexponierten Hänge über der Magadino-Ebene grosse Heuschrecken aufgefallen, die an kalten Tagen bewegungslos an Hauswänden oder in immergrünen Hecken sassen. Sobald die Sonne scheint, fliegen sie bei der geringsten Störung ab und sehen dabei aus wie kleine Vögel.

Die Ägyptische Wanderheuschrecke ist eine der grössten in Europa vorkommenden Heuschreckenarten. Anacridium aegyptium ist, wie der wissenschaftliche Name vermuten lässt, eine nordafrikanische Art, die sich im Zuge der Klimaerwärmung immer weiter nach Norden ausbreitet. Noch vor wenigen Jahren war sie in der Schweiz nur von wenigen Fundorten im südlichsten Tessin bekannt, wie im ausgezeichneten Buch von Baur et al. (2006) über die Heuschrecken der Schweiz zu lesen ist. Neben der eindrücklichen Grösse von bis zu 7 cm ist das auffälligste Erkennungsmerkmal, dass die Augen markant senkrecht gestreift sind.

Ungewohnt: Heuschrecken im Winter auf Schnee

Es gibt im Tessin noch zwei kleinere Heuschreckenarten, die wie die Ägyptische Wanderheuschrecke den Winter im Erwachsenenstadium überdauern und die Eier im Frühling in der Erde ablegen. Alle drei sind erst seit kurzem im Sopraceneri heimisch auf ihrem Vormarsch in den Norden. Es ist ein ungewohntes Bild, im Februar bei Sonne Heuschrecken auf der Schneedecke zu beobachten.

Die Grösse der Ägyptischen Wanderheuschrecke ist vor allem im Flug beeindruckend. Man kann sich vorstellen, wie es aussehen würde, wenn Schwärme aus Millionen solcher Flieger ins Tessin einfallen würden. Früher gelangten immer wieder riesige Schwärme von Wanderheuschrecken aus Nordafrika nach Europa, wo sie verheerende Schäden anrichteten und Hungersnöte verursachten. Doch handelte es sich dabei um andere Arten, vor allem die berüchtigte Wanderheuschrecke Locusta migratoria, die es vereinzelt auch bis ins Tessin schafft und hier einige Generationen verbringen kann. Deren Augen sind nicht senkrecht gestreift. Anacridium aegyptium lebt als Pflanzenfresser einzeln und bildet keine Schwärme. Bisher sind zumindest in Europa keine auffälligen Schäden an landwirtschaftlichen Kulturen beobachtet worden.

Wer weiss, vielleicht führt die Einwanderung dieser imposante Heuschrecke sogar dazu, dass stark gefährdete Vogelarten wie Wiedehopf, Würger oder Steinkauz, die auf grosse Insekten als Beutetiere angewiesen sind, im Tessin wieder häufiger brüten.