Welche Mikroben wachsen auf arktischen Inseln?

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Fünf Wochen lang fuhr der WSL-Doktorand Joel Rüthi auf einem russischen Eisbrecher durch die Arktis. Sein Ziel war es, mehr über die Mikroben in den trockenen und kalten Böden auf arktischen Inseln zu erfahren. Über ungewohnte Arbeitszeiten, Mitternachtssonne und komplizierte Logistik berichtet er im WSL-Logbuch.

Am 4. August geht es endlich los. Für einen Monat werde ich eines von 59 Mitgliedern der Arctic Century Expedition auf dem Eisbrecher Akademik Tryoshnikov im Norden Russlands sein. Statt WG und WSL-Laborplatz werde ich in einer Zweierkabine auf einem russischen Eisbrecher hausen und in einem improvisierten Labor in einem Schiffscontainer arbeiten. Statt Hochsommerwetter werde ich den arktischen Sommer mit durchschnittlichen Temperaturen um den Gefrierpunkt und 24 Stunden Tageslicht erleben.

Von Genf geht die Reise via Moskau nach Murmansk und in den dortigen Hafen. Nachdem der Schiffsarzt bei alle Fieber gemessen hat, dürfen wir die Akademik Tryoshnikov betreten. Bereits um 17 Uhr läuft das Schiff aus und nimmt Kurs auf die Barentssee.

Während der ersten Tage der Reise lernen wir das Schiff kennen, richten die Labors ein und planen das Arbeitsprogramm. Die Crew instruiert uns über das richtige Verhalten rund um den Helikopter, bei Kontakt mit Eisbären und im Fall einer Evakuierung. Während viele Forschungsgruppen schon bald mit ihrer Arbeit auf dem Schiff beginnen können, muss sich das terrestrische Team einige Tage gedulden, bis wir das erste Mal Land erreichen.

Was gedeiht in arktischen Böden?

Meine Aufgabe auf der Expedition wird es sein, Boden- und Luftproben auf den besuchten Inseln zu sammeln. Wir wollen besser verstehen, welche Mikroorganismen in Böden von polaren Wüsten leben, wo flüssiges Wasser ebenso Mangelware ist wie in heissen Wüsten. Wie wechselwirken Mikroben und Pflanzen miteinander und welche Rolle spielen die Mikroorganismen in den Stoffkreisläufen? Denn die Arktis befindet sich, zum Beispiel durch den Klimawandel, in einem rasanten Wandel.

Drei Erkenntnisse nach den ersten Tagen meiner Reise: Erstens: Ja, ich konnte trotz 24 Stunden Tageslicht und obwohl es nie wirklich still ist im Schiff gut schlafen. Zweitens: Das Essen war sehr gut und viel abwechslungsreicher als erwartet. Bis zum Schluss gab es frische Früchte, Gemüse und Salat. Und drittens: Nein, ich wurde nicht seekrank.

Geduld und Flexibilität sind gefordert

In Reichweite der ersten Inseln macht uns das Wetter einen Strich durch die Rechnung. Mehrere Helikopterflüge werden wetterbedingt abgesagt. Am zehnten Tag der Expedition sitzen wir schon startbereit im Helikopter, als innerhalb von wenigen Minuten dichter Nebel aufzieht und der Flug erneut abgesagt wird. Wir nehmen es mit Galgenhumor: Immerhin haben wir es dieses Mal bis in den Helikopter geschafft!

So eine Expedition verlangt immer wieder einiges an Flexibilität. Bei den Feldarbeiten auf dem Severnaja Semlja Archipel müssen wir jeweils zwischen 2 und 5 Uhr morgens aufstehen, weil das Wetter um die lokale Mittagszeit am besten ist. Denn auf dem Schiff leben wir zwar nach Moskauer Zeit (GMT +3), fahren aber so weit nach Osten, dass wir uns teilweise in der GMT +7 Zeitzone befinden. Das führt zu eher ungewohnten Arbeitszeiten.

Da ich meine Bodenproben rasch im Labor verarbeiten muss, geht die Arbeit für mich direkt nach der Feldarbeit im Labor weiter; Feierabend kann auch mal erst nach Mitternacht sein. Dafür werde ich, sowohl an Land als auch wenn ich aus meinem Schiffslabor komme, mit einem atemberaubenden Ausblick belohnt!

Fast wie auf dem Mars

Am elften Tag auf See klappt es endlich mit dem ersten Flug. Der Helikopter bringt uns auf die Wiese-Insel, in eine für mich unbekannte Welt. Auf der Insel wächst eine faszinierende Vegetation mit schwarzen Bodenkrusten, farbigen Flechten, Gräsern und Moosen und einigen kleinen blühenden Pflanzen. Und anders, als sich das viele vorstellen, gibt es auf der Insel kaum Schnee.

Nach einigen Stunden zieht wieder schlagartig Nebel auf und wir werden eilig abgeholt. Das Wetter kann auf den arktischen Inseln Russlands unglaublich rasch umschlagen. Als wir am nächsten Tag die Graham-Bell-Insel im Franz-Josef-Land Archipel betreten, kommt er uns vor, als wären wir auf dem Mars gelandet. Weit und breit gibt es nur rötlichen Sand und Steine und praktisch keine Pflanzen. Dafür entdecken wir frische Eisbärspuren nahe unseres Landungspunktes, die uns daran erinnern, dass beim Arbeiten hier grösste Vorsicht geboten ist.

Insgesamt besuchen wir für die Feldarbeit sieben Inseln. Die für mich spannendste und überraschende Erkenntnis ist, dass sie alle einzigartig sind. Denn global gesehen liegen sie sehr nahe beieinander und ich hatte mir die Umgebung viel eintöniger vorgestellt. Auch der Gegensatz von Unberührtheit und menschlichem Einfluss fasziniert mich. Zum Beispiel wurden Wiese- und Pionier-Insel erst vor etwa 90 Jahren entdeckt, und viele Inseln sind unbewohnt. Trotzdem finden wir immer wieder Hinweise auf menschliche Aktivitäten, wie rostige Fässer und Radspuren.

Sauna auf dem 82. nördlichen Breitengrad

Wenn gerade nicht gearbeitet wird, kann man sich an Bord auf vielerlei Arten beschäftigen: Kartenspiele, ein Fitnessraum inklusive Tischtennistisch und eine Sauna zur Entspannung. Mein Saunagang über dem 82. nördlichen Breitengrad war wohl einer der nördlichste der Welt. Abends gibt es regelmässig Vorträge, die Einblicke in andere Forschungsgebiete geben und aufzeigen, wie relevant solche Expeditionen sind. Sie enden meist mit geselligen Apéros. Am 15. Expeditionstag sehe ich bei einem Mitternachtsspaziergang das erste Mal grössere Eisschollen auf dem Meer.

Eis, so weit das Auge reicht

Sieben Stunden später erwache ich in einem vibrierenden und grollenden Schiff. Leicht verschlafen blicke ich aus dem Fenster meiner Kabine – und bin geblendet von der kilometerweiten Eislandschaft im strahlenden Sonnenlicht. Die Arktis zeigt ein weiteres Mal eine völlig neue Facette.

Wir sind jetzt in der Arktis, wie man sie von Bildern kennt. Wo man überall von Eis umgeben ist. Wo man einen Eisbrecher benötigt, um sich fortzubewegen. Viele Stunden lang schaue ich mir das Packeis und das eindrückliche Brechen von meterdicken Eisschollen unter dem Schiffsbug an. Dies wird in den nächsten Tagen zu einer meiner Lieblings-Freizeitbeschäftigungen. Nebst malerischen Landschaften erspähe ich vom Vorderdeck aus mehrere Eisbären, Robben und Walrösser. 

Das ist es auch, was mir vermutlich am stärksten in Erinnerung bleiben wird: Es gibt eine unerwartete Vielfalt in einer Region der Welt, die man sich in erster Linie einfach nur als weiss vorstellt.

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