Wie die Schweiz die Zersiedelung bremsen könnte

Das Siedlungswachstum in der Schweiz ist nach wie vor rasant und verläuft vielerorts ungeordnet. Wie sich für Mensch und Natur attraktive Lebensräume erhalten und gestalten liessen, darüber diskutierten Fachleute aus Forschung und Praxis am "Forum für Wissen 2015" der Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL.

Obwohl es seit 1979 in der Schweiz ein Raumplanungsgesetz gibt, geht die Zersiedelung ungebremst weiter: Während die Bevölkerung zwischen 1985 und 2009 um 17 Prozent anwuchs, nahm die Siedlungsfläche um 25 Prozent zu. Zugleich stieg auch der Flächenverbrauch pro Kopf, und zwar um 20 Quadratmeter auf aktuell 407 Quadratmeter.

In der Bevölkerung wachse der Unmut über den unkontrollierten Landverbrauch, betonte Silvia Tobias von der WSL am Forum für Wissen 2015. Dies belege etwa die Annahme der Zweitwohnungsinitiative. Gleichzeitig sind gerade Wohngegenden mit Nähe zur "Natur" beliebt: Die Schweizer Bevölkerung lebt am liebsten im Dorf, ergab eine Umfrage im Rahmen des von Tobias geleiteten WSL-Forschungsprogramms "Raumansprüche von Mensch und Natur".

Das kleinräumige, "polyzentrische" Siedlungsmuster sei somit eine besondere Stärke der Schweiz und zu fördern, folgert Tobias. Das Ziel müssten nach aussen abgegrenzte Siedlungen sein, deren Zentren zu Begegnungsräumen umgestaltet werden und die von unverbauten Grünräumen für Mensch und Natur umgeben sind.

Erfolgreiche Beispiele

Wie könnten Gemeinden diese Ziele erreichen? Anna Hersperger und Gierina Cathomas von der WSL haben dies anhand erfolgreicher Beispiele erkundet. Sie wählten 15 Gemeinden wie Winterthur, Schlieren (ZH) oder Sils (GR) aus, die heute dichter und kompakter sind als früher. Es zeigte sich, dass dabei vor allem Gestaltungs- oder Quartierpläne hilfreich waren. Weitere Faktoren waren Anpassungen bei der vorgeschriebenen Ausnutzung, Rückzonungen von Bau- zu Landwirtschaftsland und das Einschränken des Siedlungsgebiets.

Die Schweizer Gemeinden setzen solche Raumplanungsinstrumente allerdings unterschiedlich häufig ein, je nach Grösse und Kanton. Dies hat die Befragung sämtlicher Gemeinden der Schweiz durch ein Team um Sophie Rudolf von der WSL ergeben. Ihr Fazit: "Gemeinden verfügen zwar über wirksame Instrumente für eine kompakte Entwicklung, doch man muss sie besser unterstützen und ermuntern, sie zu benützen", sagte Rudolf. Dass solche Massnahmen funktionieren können, aber viel Zeit und Kommunikation mit allen Beteiligten benötigen, betonte Tobias Vogel von der Abteilung Raumentwicklung des Kantons Aargau.

Falsche Anreize

Eine nachhaltige Raumplanung bleibe aber frommer Wunsch, wenn falsche Anreize zum Landverbrauch nicht korrigiert würden, bemängelte die WSL-Ökonomin Irmi Seidl. Einer der stärksten Treiber der Zersiedelung sei die Verkehrserschliessung, sagte sie in ihrem Vortrag. Weiter hätten auch institutionelle Faktoren sehr grossen Einfluss: der Bodenmarkt, das Kreditwesen und die Steuerpolitik.

So eignet sich die begrenzte Ressource Boden bestens als Spekulationsobjekt, sie dient als Grundpfand für Kredite und ist entsprechend nachgefragt. Die Politik tue sich bisher schwer damit, Abgaben auf Gewinne zu erheben, die durch den Handel oder die Erschliessung von Boden entstehen, betont Seidl. Diese sogenannten "Planungsmehrwerte" könnten an die Öffentlichkeit zurückfliessen, etwa um damit Erholungsräume zu schaffen. Das revidierte Raumplanungsgesetz, das seit 2014 in Kraft ist, schreibt eine Mehrwertabgabe von 20 Prozent für neu eingezontes Bauland vor.

Den Boden besteuern

Den Flächenverbrauch fördert auch das starke Interesse von Banken, Hypothekarkredite zu vergeben, ebenso das Steuersystem. Liegenschaften werden für die Steuerfestlegung unter ihrem Verkehrswert eingeschätzt, Hypotheken und Hypothekarzinsen sind steuerlich anrechenbar, einen Teil der Infrastruktur- und Verkehrskosten trägt die Allgemeinheit. "Diese institutionellen Anreize sind komplex und sehr wirksam, werden aber häufig ignoriert", ist Seidls Fazit. Gegensteuern könnten realistische Wertschätzungen der Liegenschaften als Basis für verschiedene Steuern und eine Einführung von Flächennutzungssteuern.

Sehr wirksam könnten laut Seidl zudem handelbare Flächenzertifikate sein, ähnlich den bestehenden CO2-Zertifikaten. Eine Gemeinde könnte das Recht, eine bestimmte Fläche zu überbauen, von einer anderen Gemeinde einkaufen, die genügend Baulandreserven hat. Dies setzt jedoch eine genügend strenge Obergrenze für die totale Bauzonenfläche voraus (sogenanntes Cap and Trade).

Es gehe nicht anders, als nach innen zu verdichten, sagte Lukas Bühlmann, Direktor der Schweizerischen Vereinigung für Landesplanung (VLP-ASPAN). Die grosse Herausforderung sei es nun, eine qualitativ hochwertige Verdichtung hinzubekommen: Dörfer sollten Lücken im Dorfkern füllen statt auf der grünen Wiese zu bauen. Städte sollten sich mit durchmischten, lebenswerten Quartieren ein attraktives Gesicht geben. Dies könne nur geschehen, wenn die Gemeinden so früh wie möglich mit Grundeigentümern, Investoren und der Bevölkerung zusammenarbeiten.