Wie Holzforschende gefälschte Meister-Instrumente entlarven

24.9.2021  | Stephanie Kusma| News WSL

Stradivari oder nicht? Die Antwort auf diese Frage kann Millionen wert sein. Jahrringforscher wie Paolo Cherubini von der Eidgenössischen Forschungsanstalt WSL helfen, sie zu beantworten. In der Fachzeitschrift Science erklärt er, wie.

Herr Cherubini, wie sind Sie darauf gekommen, sich mit Instrumenten zu beschäftigen?
Paolo Cherubini: Ich wurde vor Jahren gebeten, als Gutachter in einer Gerichtsverhandlung auszusagen. Darin ging es um das Alter einer wertvollen Bratsche, die aus dem 16. Jahrhundert stammen und von Gasparo da Salò gebaut sein sollte. Ein Violinist hatte sie für mehr als 200000 Euro gekauft, war dann aber misstrauisch geworden und hatte ihr Alter von zwei Labors bestimmen lassen, die auf die Altersbestimmung mit Baumringen spezialisiert sind. Beide kamen zum Schluss, dass das Holz der Bratsche aus dem 17. Jahrhundert stammte. Gasparo war aber 1609 gestorben – und die Bratsche also nach seinem Tod gebaut. Das reduzierte ihren Wert um rund das zehnfache. Ich wurde damals vom Anwalt des Opfers angefragt, als Gutachter dem Gericht die Methode zu erklären. So habe ich angefangen, mich mit der Datierung von Instrumenten mit Hilfe von Jahrringen zu befassen.

Wie funktioniert die Methode?
Man analysiert die Jahrringe des Holzes, aus dem ein Streichinstrument gebaut ist. Dazu misst man deren Breite entweder direkt auf dem Instrument oder auf Fotografien. Am besten geht das auf der Oberseite des Instruments. Man kann das Holz auch im Computertomographen oder MRI untersuchen oder die Bilder mit Computerprogrammen analysieren.

Und dann?
Dann vergleicht man die Abfolge der Jahrringe auf dem Instrument mit bereits datierten Jahrringserien von Bäumen. Diese müssen aus der Herkunftsregion des Holzes stammen, aus dem das Instrument gebaut wurde. Eine andere Möglichkeit ist der Vergleich mit Instrumenten, von denen man sicher weiss, wer sie gebaut hat. Man braucht aber immer eine Referenz-Serie von Jahrringen.

Weiss man denn jeweils, woher die berühmten Geigenbauer ihr Holz hatten?
Das ist tatsächlich eine Schwäche der Methode. Oft gibt es hierzu nur Legenden, Geschichten und Mythen. Im Paneveggio in Italien erzählt man sich beispielsweise, Stradivari selbst habe das Holz für seine Instrumente im Fleimstal (Val di Fiemme) ausgesucht, indem er dem Klang der zu Tal rutschenden, gefällten Bäume lauschte. Das habe ich schon gehört, als ich dort für meine Doktorarbeit forschte. Belegt ist das aber nicht. Es wäre interessant, dem in Archiven nachzugehen und zum Beispiel nach Rechnungen für Holz zu suchen, das an Instrumentenbauer gegangen ist. Das hat aber noch niemand getan.

Und was, wenn man den Kontext des Holzes nicht kennt?
Dann gibt es öffentliche Datenbanken, in denen Jahrring-Serien abgelegt sind, beispielsweise die International Tree Ring Database der NOAA in Colorado. Aber nicht viele Chronologien reichen 500 Jahre zurück und stammen aus den richtigen Gegenden. Wir brauchen neue, öffentliche Chronologien, zusammengestellt beispielsweise aus lebenden Bäumen und Holzbalken, die in alten Häusern verbaut sind. Trotzdem konnten Forschende so schon die Herkunft von Holz bestimmen, das in Instrumenten verbaut wurde. So hat man zum Beispiel herausgefunden, dass viele der alten Geigenbauer aus Norditalien Holz aus dem Fleimstal verwendet haben.

Kann man alle Instrumente aus Holz so datieren?
Nein, denn es muss genügend Jahrringe geben. Man braucht mindestens 50, 60, 70 Ringe, um eine statistisch robuste Aussage zum Alter machen zu können. Deshalb geht das bei einem Bass einfacher als bei einem Cello, und bei einem Cello einfacher als einer Bratsche… und so weiter. Die Decke oder der Rücken einer Geige hat gewöhnlich gerade noch genug Ringe. Wenn die Holzinstrumente zu klein sind, funktioniert es nicht mehr.

Wie exakt ist diese Altersbestimmung?
Man kann das Jahr bestimmen, in dem der letzte am Instrument sichtbare Baumring gebildet wurde, den sogenannten «terminus post quem» (lateinisch für: «der Zeitpunkt, nach dem»). Vor diesem Zeitpunkt kann das Instrument nicht gebaut worden sein. Danach schon, aber wann genau, kann man nicht sagen: Das Holz kann jahrelang gelagert worden, oder beim Bau können Holzbereiche mit jüngeren Jahrringen verloren gegangen sein. Manchmal benutzten die Geigenbauer auch sehr altes Holz wieder. Aber wenn Gasparo da Salò im 16. Jahrhundert gelebt hat und ein Baum im 17. Jahrhundert gewachsen ist, kann sein Holz nicht in einer Gasparo da Salò-Geige verbaut sein.

Hat man so schon mehr Fälschungen identifiziert?
Ja. Peter Klein aus Hamburg etwa, der die Methode früh weiterentwickelt hat, hat schon einige den falschen Geigenbauern zugeschriebene Instrumente entlarvt. Das sind aber nicht zwingend Fälschungen: Im 18. Jahrhundert versuchten viele Geigenbauer, Stradivaris Instrumente zu imitieren, um einen ebenso guten Klang zu erzielen. Das kann heute für Verwirrung sorgen, weil die Instrumente wie seine aussehen, aber nicht von ihm sind.

Warum braucht es diese Art der Datierung?
Es ist die einzige Methode, bei der man nicht mindestens ein winziges Stück des Instruments zerstören muss und trotzdem einen wichtigen Zeitpunkt erfährt, eben den «terminus post quem». Zwar wäre es zum Beispiel spannend, im Holz von Instrumenten nach Erbgut zu suchen und darüber Hinweise auf die Herkunft der Hölzer zu bekommen. Aber für solche Analysen braucht es Holzspäne, und niemand will an einer Stradivari herumkratzen. Manchmal fallen bei Restaurierungen solche Fragmente an. Das wäre vielleicht eine Möglichkeit.


Paolo Cherubini erforscht an der Eidgenössischen Forschungsanstalt WSL die Datierung von Holz durch die Analyse von Jahrringen. In der wissenschaftlichen Fachzeitschrift Science beschreibt er, was sein Forschungsgebiet mit den berühmten Geigenbauern des 16. Jahrhunderts zu tun hat.

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