Flachgründige Rutschungen: Einfluss der Waldstruktur auf die Hangstabilität

Der Einfluss der Waldstruktur auf das Schutzpotential vor flachgründigen Rutschungen wurde bereits durch verschiedene Projekte bestätigt (SOSTANAH, WHFF, WaWaRu). Für ein umfassenderes Verständnis fehlen jedoch nach wie vor wissenschaftlich fundierte Grundlagen hinsichtlich der Verbindung zwischen dem unterirdischen Wasserregime, das mit der Auslösung von flachen Erdrutschen zusammenhängt, und den oberirdischen Struktureigenschaften von Wäldern.

Zudem mangelt es im Hinblick auf die Hochskalierung vom lokalen (Einzelbaum, Cluster) auf den regionalen (Bestand) und überregionalen Maßstab (Einzugsgebiet) an der zuverlässigen Zuordnung von Fernerkundungs- (Einzelbaumerkennung) zu Feldaufnahmedaten.

Zum besseren Verständnis der Zusammenhänge zwischen Wasserregime, Waldstruktur und deren Einfluss auf das Schutzpotenzial vor flachgründigen Rutschungen werden im Rahmen des Projekts die Bodenhydrologie sowie die Evapotranspiration und deren Zusammenhänge untersucht.

Motivation, Methoden und Ziele

Der Einfluss der Vegetation im Allgemeinen und insbesondere von Wald auf Boden- und Hangstabilität ist ein wichtiger Bestandteil einer integralen Strategie zum Schutz vor Naturgefahren wie flachgründige Rutschungen. Die Quantifizierung der entsprechenden Pflanzenwirkungen ist allerdings nach wie vor eine grosse Herausforderung und bedarf weiterer Anstrengungen. Im Hinblick auf eine Umsetzung der Erkenntnisse aus der Forschung ist es entscheidend, einen Bezug zu praxisrelevanten und möglichst einfach zu erhebenden Parametern herzustellen, welche zudem das langfristige Waldmanagement wegweisend unterstützen.

Im Rahmen des NFP 68 Projekts SOSTANAH wurde ein auf drei Säulen abgestützter Ansatz entwickelt unter Berücksichtigung von a) Bodenmechanik, b) Waldstruktur und c) Topographie.

Dieser «3-Stufen-Filter» besagt, dass ein bewaldeter Hang – bis zu einem gewissen Grad – stabil ist, falls:

a)   die Hangneigung α kleiner als der Reibungswinkel Phi’ + 5° ist,

b)   der Wald divers und mehrstufig ist, mit einem Deckungsgrad ≥40% (Kronendach), respektive ≥70% (gesamte Vegetation) und keine Lückenlängen in Hangfalllinie > 25 m sowie unterschiedliche Sukzessionsstadien aufweist und

c)   die Geländemorphologie weder flach-konvex noch konkav-flach noch konkav-konvex ist

Im Rahmen einer Auswertung der «WSL Hangmuren Datenbank» konnten mit diesem «3-Stufen-Filter» über 95% von insgesamt 218 analysierten Rutschungen retrospektiv erklärt werden. Für das Unwetterereignis «Sachseln 1997» wurde zudem eine exemplarische statistische Analyse unter stark vereinfachenden Normalverteilungsannahmen durchgeführt. Diese lässt vermuten, dass unter den erfüllten Voraussetzungen des «3-Stufen-Filters» weniger als 1/5 der 107 in der für die Auswertung berücksichtigten Rutschungen ausgelöst worden wären.


 

Erklärungspotential des 3-Stufen-Filters zur Analyse flachgründiger Rutschungen mit den Kriterien: Bodenmechanik, Vegetation und Topographie. Die Kriterien des seriell verwendeten Filters waren:

  • Bodenmechanik: Hangneigung α nicht mehr als 5° steiler als der Reibungswinkel Phi' 

  • Vegetation (Wald):

    • Mehrschichtige Bestände; gute Abstufung von Baumhöhe und -alter

    • Gesamt-Deckungsgrad > 60% (Baumschicht > 40%)

    • Nadelholzanteil < 80%

    • Möglichst artenreiche Bestände in Entwicklungsstufen Stangen- oder Baumholz

    • Lückenlängen in der Falllinie nicht grösser als 25 m

  • Topographie: Geländeform (Falllinien-Horizontal-Profil) ist nicht konvex-flach, flach-konkav oder konvex-konka


Der Fokus des hier vorgestellten Projekts liegt entsprechend auf dem Zusammenspiel von Waldstruktur, Bodenhydrologie und Evapo-Transpiration. Voruntersuchungen im Dischmatal (Davos) haben gezeigt, dass bereits während des Winterhalbjahres ein deutlicher Unterschied zwischen den gut und schlecht strukturierten Waldpartien bestehen, mit kühleren Temperaturen und geringerem Wassergehalt in der gut strukturierten Fläche. Zudem wurden sogenannte «topgraphische Feuchte-Indices» berechnet und mit der Feuchtigkeitszahl der entsprechend kartieren Waldgesellschaften vergliche).

Unser Projektvorschlag hat zum Ziel, diese Zusammenhänge direkt in potentiellen Rutschungsgebieten zu untersuchen. Es werden vier schlecht strukturierte Bestände ausgeschieden, wovon zwei Flächen in den darauffolgenden zwei bis drei Jahren vom Forstdienst der Schutzwaldpflege unterzogen werden. Zusätzlich werden zwei gut strukturierte Bestände als Referenzflächen eingerichtet.

Bodenprofile dienen der geotechnischen (Korngrössenverteilung) und pedologischen Analyse (C/N, Corg) sowie zur Messung von volumetrischem Wassergehalt (VWC), Temperatur (T), Matrixpotential (MP) und elektrischer Leitfähigkeit (EC). Die kontinuierliche Datenerhebung dieser 4 Parameter wird durch räumlich verteilte ad-hoc Messungen ergänzt. Die relative Veränderung der raum-zeitlichen Feuchtigkeitsverteilung im Boden wird zusätzlich mit elektrischer Widerstandstomographie erfasst. Parallel dazu werden im Hinblick auf die Quantifizierung der Evapo-Transpirationsleistungen mit einer Drohne sowie einer bodengestützten Kamera thermische Daten erhoben.

Die Bodenprofile werden ebenso pedologisch eingeordnet, wie aus geotechnischer Sicht nach USCS katalogisiert. Für Letzteres ermöglicht die Korngrössenanalyse auch die Abschätzung der Scherparameter (Reibungswinkel F' und Kohäsion c'). Zudem ist geplant, für jedes Bodenprofil die räumliche Wurzelverteilung unter Berücksichtigung der Durchmesserklassen (Fein-, Mittel- und Starkwurzeln) zu kartieren.

Die Waldpartien der Untersuchungsflächen werden nach dem herkömmlichen Bestandescode (Deckungsgrad, Schichtung, Mischung, Entwicklungsstufe) in-situ durch Experten (Forstdienst, SLF) als auch basierend auf Fernerkundungsdaten (LiDAR, Orthophotos, Vegetationshöhenmodelle) charakterisiert und klassifiziert. Das gleiche Verfahren wird für die Beurteilung der Geländemorphologie verwendet.

Die im Rahmen des hier vorgeschlagenen Projekts resultierenden Daten und Erkenntnisse sollen in die Entwicklung von «Interaktiven Karten» einfliessen, welche im Rahmen des WHFF-Projekts «Schützen gut strukturierte Wälder besser» erarbeitet werden. Diese GIS basierten Karten zur Anfälligkeit bewaldeter Hänge auf flachgründige Rutschungen sollen es erlauben, on-line Aktualisierungen und Korrekturen, insbesondere betreffend Waldstruktur, einzutragen und somit das Gefährdungspotential kontinuierlich auf dem aktuellen Stand zu halten. Neben Eingriffen im Rahmen des Waldmanagements gehören dazu auch anthropogene und natürliche Störungen wie beispielsweise der Bau von Strassen und Infrastruktur, Rutschungen, Lawinen, Windwurf und Feuer sowie Kalamitäten durch Insekten und Pilze.

Links und Publikationen

Links

Slope Stability and Natural Hazards (SOSTANAH - NFP68)

Schützen gut strukturierte Wälder besser? Interaktive Karten zur Wirkung gegen flachgründige Rutschungen

Shallow landslides: lessons from Sachseln 1997

What forest structure and soil properties account for the protection against shallow landslides

 

Publikationen

Furrer J (2020) Terrestrische und drohnenbasierte Aufnahmen als Grundlage zur Abschätzung der Waldstruktur und Evapotranspiration in rutschungs-exponierten Gebirgswäldern. Master Thesis ETH Zürich, pp. 94 + Appendix.

Graf F, Bast A, Rickli C, Bebi P (2020) Schutz – Wald – Struktur: Einfluss auf flachgründige Rutschungen. Ingenieurbiologie 3: 14-20.

Rickli C (2020) Dokumentation von spontanen flachgründigen Rutschungen und Hangmuren. Ingenieurbiologie 3: 44-50.

Simmler Kevin (2020) Possibilities of differentiating between forest community types with topographic variables in the canton of Appenzell Ausserrhoden. MSc ETH Zürich Umweltnaturwissenschaften / SLF, 59 S. + Anhang.

Temperli Annette (2022) The Influence of Forest Structure on Soil Water Balance and Shallow Landslides. MSc ETH Zürich Umweltnaturwissenschaften / SLF, 60 S. + Appendix.

Yildiz A, Graf F, Springman SM (2020) Volume change behaviour of root-permeated soils under partially saturated conditions. Environment, Energy and Earth Sciences. https://doi.org/10.1051/e3sconf/202019501007