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Ein floristischer Ansatz zur biogeographischen Gliederung der Schweiz

gekürzt nach
Wohlgemuth T. 1996. Bot. Helv. 106, 227-260.
Wohlgemuth T. 1996. Biodiversity Letters 3, 180-191.
 
Einleitung

Ein Naturraum ist ein Wirkungsgefüge vieler Geofaktoren. In sich geschlossene Naturräume tragen in der Regel einen Gebietsnamen. Einfache Namen deuten auf eindeutig abgrenzbare Naturräume oder Fluren hin, zusammengesetzte Namen zeigen vage Unterschiede innerhalb einer hierarchisch höheren Einheit an, oder anders ausgedrückt, sie deuten auf fliessende Übergänge hin, z.B. östliches und westliches Mittelland, Ostalpen und Westalpen. Obwohl uns bei Namen wie 'Mittelland', 'Jura' oder 'Alpen' sofort klar ist, was damit gemeint ist, dürfte es oft schwierig sein, die präzisen Grenzen zwischen den genannten Gebieten zu definieren. Solche Grenzdefinitionen werden seit etwa 30 Jahren zu verschiedenen Zwecken vorgeschlagen (vgl. Tab. 1). Es handelt sich in den meisten Fällen umbiogeographische Gliederungen, also um Einteilungsvorschläge, welche auf der Verbreitung von Pflanzen- oder Tierarten oder davon abgeleiteten Informationen wie z.B. Wärmestufen oder Produktionsregionen basieren. Im Falle der naturräumlichen Gliederung von Gutersohn (1973) liegt das Schwergewicht auf der Landschaftsform.
Praktisch allen bisherigen Gliederungsvorschlägen liegt ein induktiver Ansatz zugrunde. Aufgrund des Vorkommens spezieller oder besonders auffälliger Arten, respektive Artengemeinschaften, wurden Grenzlinien skizziert, wobei die subjektive Auswahl der Arten das endgültige Bild der Regionalisierung wesentlich beeinflusste. Üblicherweise sind die detaillierten Kriterien für die Abgrenzung zweier Regionen rational nicht vollständig nachvollziehbar, obwohl das Resultat durchaus plausibel erscheint.
Die vorliegenden biogeographischen Regionalisierungsvorschläge für das Gebiet der Schweiz unterliegen einem rein statistischen Gliederungsansatz auf der Basis von floristischen Verbreitungsmustern.

Tab. 1: Auswahl von bisherigen biogeographischen oder geomorphologischen Regionalisierungen der Schweiz.
Autoren Name der Karte oder Übersicht Anzahl Gruppen oder Kategorien Datenquelle oder Faktoren Massstab
Christ (1879) Verbreitung einiger Waldbäume 8 Bäume Verbreitung von Baumarten 1:1'500'000
Brockmann-Jerosch (1927) Vegetations- und Wirtschaftskarte 9 Kategorien (Waldgrenze inbegriffen) Landwirtschaft und Vegetation 1:200'000
Schmid (1966) Vegetationskarte 11 Vegetationsgürtel Verbreitung charakteristischer Pflanzenarten und Vegetation 1:200'000
Beaumont (1968) Zoogeographische Gliederung 5 Regionen Geographie und Pflanzengeographie 1:2'000'000
Kuoch & Amiet (1970) Naturwald- und Klimagebiete 7 Regionen Verbreitung von Baumarten und Klima 1:3'000'000
Ott (1972) Produktionsregionen 14 Regionen Forststatistik 1:2'000'000
Gutersohn (1973) Naturräumliche Gliederung 11 Regionen 1. und 2. Ordnung; 22 Regionen 1. bis 3. Ordnung Geomorphologie, Geologie 1:500'000
Sauter (1968, 1975) Zoogeographische Regionen 15 Regionen Verbreitung von Schmetterlingen 1:1'500'000
Schreiber et. al. Wärmegliederung 18 Kategorien (Isolinien) Phänophasen von über 100 Pflanzenarten 1:200'000
Speich & Brassel (1980) Forstregionen 14 Regionen Forststatistik 1:500'000
Welten & Sutter (1982) Unterteilung der Kartierflächen 9 Regionen Topographie, Geologie und Gutersohn (1973) 1:500'000
Dufour (1984) Geographische Gliederung 18 Regionen Wärmegliederung von Schreiber et al. (1977) 1:2'000'000
Galland et al. (1990) Biogeographische Gliederung 11 Vegetationsgürtel Verbreitung von Vegetationstypen 1:2'000'000
Landolt (1991) Einteilung in Regionen 10 Regionen Ökologie, Vegetation und Kantonsgrenzen 1:2'000'000
Hegg et al. (1993) Vegetations-Landschaften 30 Einheiten Verbreitung von Vegetationstypen nach Luftbildern 1:1'000'000
Sansonnens (1996) Biogeographische Gliederung, Synthese 11 Regionen Synthese verschiedener Regionalisierungen 1:2'000'000
Lauber & Wagner (1996) Aufteilung in Regionen 12 Regionen Geologie, Kantonsgrenzen, Flässe 1:2'000'000
Ott et al. (1997) Standortsregionen (nur Alpen) 7 Regionen Waldvegetation und -struktur 1:2'500'000


TopMethode
Daten:Die Grundlage der vorliegenden Untersuchung bilden die Resultate der Kartierung der schweizerischen Flora (1967 - 1979), die im Verbreitungsatlas (VA) der Farn- und Blütenpflanzen der Schweiz dargestellt sind, und sämtliche Ergänzungsmeldungen bis 1995 (Welten & Sutter 1982, Welten & Sutter 1984, Wohlgemuth 1993, Wagner 1995). Im VA wurden 593 Kartierflächen vorwiegend nach topographischen Gesichtspunkten definiert, wobei drei Kategorien unterschieden werden: 350 Talflächen (obere Begrenzung durch die Waldgrenze), 215 Bergflächen und 28 Seeflächen. Für die Analyse wurden die Daten auf folgende Weise reduziert:

1. Ausschluss aller Berg- und Seeflächen: Das Untersuchungsgebiet umfasst sämtliche Gebiete unterhalb der Waldgrenze mit Ausnahme grösserer Seeflächen. Dies entspricht etwa drei Vierteln der gesamten Landesfläche.

2. Ausschluss aller Angaben, die auf Herbar- und Literaturauswertungen beruhen: Die Auswertungen beziehen sich auf Fundortsangaben aus Feldbegehungen. Herbarbelege und Literaturangaben wurden aus Konsistenzgründen nicht berücksichtigt (Wohlgemuth 1993).

3. Zusammenlegung der im VA unterschiedenen Häufigkeitsangaben 'selten' und 'häufig' zu einer Klasse: Sämtliche Analysen basieren auf Präsenz/Absenz-Daten.

4. Ausschluss von Artengruppen mit starken Ausbreitungstendenzen (alle Neophyten; nach der Einteilung von Landolt 1991).

5. Ausschluss von Arten, die methodisch nicht konsistent erfasst wurden (alle Wasserpflanzen; nach der Einteilung von Landolt 1991).

Eine weitere Einschränkung betrifft die in der Folge oft genannten Referenzdatensätze:

Referenz1: 1947 Arten in 350 Kartierflächen (ohne jene Arten, die in weniger als 10 Kartierflächen vorkommen).

Referenz2: 1876 Arten in 350 Kartierflächen (ohne jene Arten, die in weniger als 10 Tal-Kartierflächen vorkommen).


Analysen: Sämtliche multivariaten Analysen wurden mit Hilfe des Programmpakets MULVA-5 (Wildi & Orlóci 1996) durchgeführt.
Der Vergleich der Kartierflächen erfolgte aufgrund der floristischen Ähnlichkeit. Als Vergleichsmass wurde der Korrelationskoeffizient (Pearson's product-moment) verwendet. Damit werden häufige Arten mit klaren Verbreitungsgrenzen stärker gewichtet. Es wurden alle Kartierflächen zueinander korreliert. Als alternatives wurde auch der Jaccard-Koeffizient benutzt. Mit diesem Koeffizienten werden seltene Arten mit oft fragmentarischer Verbreitung stärker gewichtet. Die hier dargestellten Karten basieren alle auf Vergleichen von Korrelationskoeffizienten.
Das in der Vegetationskunde am häufigsten angewendete Gruppierungsverfahren ist die Minimalvarianz-Analyse, ein agglomeratives Verfahren, das im wesentlichen auf der Varianzanalyse basiert (Orlóci 1967, Birks 1976, Wildi 1986). Kartierflächen mit der grössten Ähnlichkeit zueinander werden anfangs zu Zweiergruppen zusammengefasst. Der Zusammenschluss bestehender Gruppen zu grösseren, neuen, erfolgt dann dermassen, dass die gruppeninterne Varianz möglichst wenig zunimmt. Das Resultat der Gruppierungsanalyse wird als Dendrogramm dargestellt. Zu Gliederungszwecken muss eine bestimmte Gruppenanzahl gewählt werden. In Analogie zur klassischen Unterteilung der Schweiz in die fünf Hauptregionen Jura, Mittelland, Nordalpen, Südalpen und Zentralalpen wurden in einem ersten Schritt fünf Gruppen unterschieden. Die meisten hier dargestellten Resultate sind Gliederungen in 5 Gruppen. Da in einigen neueren Gliederungsvorschlägen 10 resp. 11 Regionen unterschieden werden (Galland et al. 1990, Landolt 1991, Sansonnens 1996), wurden in einem zweiten Schritt ebenfalls 11 Gruppen gebildet. In einem dritten Schritt wurden die Dendrogramme in 19 Gruppen und in einem vierten Schritt in 30 Gruppen unterteilt. Die Anzahl 19 wurde aufgrund der Faustregel gewählt, wonach in vegetationskundlichen Untersuchungen die Quadratwurzel der betrachteten Aufnahmen, in unserem Falle 350, als eine geeignete Gruppenzahl vorgeschlagen wird (Wildi 1989). Eine noch feinere Unterteilung in 30 Gruppen wurde schliesslich ins Auge gefasst, um einerseits die Weiterentwicklung der hierarchischen Gliederung zu verfolgen und anderseits, weil die höchste vorgefundene Gruppenanzahl in biogeographischen Gliederungen 30 beträgt (Hegg et al. 1993). Im folgenden werden die aus den Analysen hervorgehenden Gruppen als floristische Regionen bezeichnet.

 
Top Resultate
Gliederung der Talflächen:
Top Literatur
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